Achtundsiebzigstes Kapitel. Über die Vermögen der Seele im besonderen. Überleitung.
„Frage doch das Tier, es wird dich lehren; die Vögel des Himmels, sie werden es dir anzeigen; sprich mit der Erde, sie wird es dir sagen; die Fische des Meeres werden es erzählen; wer weiß nicht, daß solches Alles die Hand des Herrn gemacht hat!“ (Job 12, 7.) Gott aus der Natur sprechen lassen; das ist würdig eines Engelgenies wie das des heiligen Thomas es war! Und mag er sich noch so sehr in die Einzelheiten des Seins zu verlieren scheinen; immer taucht der Strahl von oben in das tiefste Dunkel und leuchtet dem Geiste hinauf zu Himmelshöhen. Einige Worte wirft da so oft der Aquinate hinein in den Text und hindert dadurch den forschenden Blick, in Untersuchungen, die sonst so abstrus, so fernliegend wären, stehen zu bleiben. „Das Gemeinsame im stofflichen Gegensatze faßt der Sinn auf und bekundet dadurch seinen Charakter als Erkenntnisvermögen.“ „Der Zweck all ihrer eigenen Vermögen ist die Seele.“ Aber wohin erstrecken sich die Vermögen der Seele? Je nach ihrer Natur auf alles sichtbare Sein. Also alles sichtbare Sein hat zum Endzwecke, in die menschliche Seele zu treten und ihr zu dienen. Was nun ist die Seele? Urteilen wir nach dem, was sie ihrem Wesen nach wie von selbst hervorbringt. Vermögen allein bringt sie hervor; von Vermögen allein ist sie das Princip; — wiederholte oben des öfteren Thomas. Vermögen also nur ist sie; Vermögen, um substantielles Sein zu geben. Vermögen ist sie; Vermögen fließen aus ihr; Vermögen nimmt sie in sich auf; Vermögen zu tragen, verleiht sie dem Körper. Kein Wunder, wie die übernatürlich erleuchteten Herzen der Propheten und Patriarchen immer sogleich, kaum haben sie ein Einzelding erkannt, es Gott preisen, es von Gott erzählen, Gott in ihm sprechen lassen. Denn eben die menschliche Seele ist das Heim, wo die einzelnen Wirklichleiten, was ihnen gemeinsam ist und somit ihnen wirklich gehört, was den inneren Grund ihrer Wirklichkeit bildet, wie in eine weite gut verschlossene Schatzkammer niederlegen; damit sie da bekennen, daß ihr wirkliches Sein nur in Gottes Einwirken begründet ist: „Feuer, Hagel, Schnee, Eis, Sturmeswehen, Berge, Hügel, Fruchthölzer, Zedern, wilde Tiere und alles Vieh des Feldes, Schlangen und beflügelte Vögel, lobet Gott;“ „ihr Wasser über dem Himmel, Sonne und Mond, ihr Sterne am Firmamente, Regen und Tau, Kälte und Hitze, Licht und Finsternis, Erde, Pflanzen, Quellen, Meere, Flüsse, Ungetüme, Fische, ihr seid des Herrn, preiset Gott;“ — so jubelt es auf allen Seiten der heiligen Schrift bald ausdrücklich und zusammenfassend, bald im einzelnen und mehr verhüllt. Die Menschenseele ist der sichtbare Priester in der Welt, in welcher alle einzelnen Kreaturen mit all ihrem Vermögen sich sammeln, um von Gott zu erzählen: „Preiset, ihr Priester des Herrn den Herrn, preiset ihr Knechte des Herrn den Herrn; Heilige und im Herzen Demütige preiset den Herrn.“ Man möge nur ja nicht aus Furcht, in Pantheismus zu fallen, das Sein des Herrn verringern. Das ist eben die Wurzel des Pantheismus, daß er keine eigentliche Seinsfülle kennt. Aus dem Mangel an Sein will er zur Fülle kommen. Und wer da Furcht hat, die göttliche Seinsfülle in ihrer allseitigen Wirksamkeit anzuerkennen, der hat eben mit dem Pantheismus die Wurzel gemein. Wer aber in Begleitung von ihr die Seinskreise durchwandelt, der sieht auf Schritt und Tritt, daß alles Sein Gott gehört, in Gott ist; daß das Geschöpf nur das Nichts wahrhaft aus sich heraus zu eigen hat und auf Grund der Güte Gottes allein Vermögen besitzt, etwas zu sein. Ein Dualismus, der da dem Einwirken und Bestimmen Gottes irgend etwas entgegen oder zur Seite stellen möchte, auf daß danach dieses Einwirken „modifiziert“ seine bestimmte Gestalt gewänne, ist falsch; unter welcher Gestalt auch immer er auftritt. Nur von seiten der Kreatur besteht ein Dualismus, der in alle kreatürlichen Seinskreise dringt. Da ist Nichts und Sein, Fallen und Wirken, allgemeines Vermögen und einzelne Wirklichkeit, Fähigkeit und Akt, Empfangen und Geben; — und dieser Dualismus ist eben der erste augenscheinlichste Beweis, daß eine reine volle Seinsfülle besteht, die nur ist, die nur Einheit ist, der alles Sein überall da gehört, wo nur immer Sein ist. „Was den Gliedern eines Gegensatzes gemeinsam ist, faßt der Sinn auf.“ Aber ist denn dieses Gemeinsame Thatsächlichkeit, besteht es als einzelne Wirklichkeit? Nein; ein Ding ist in der Weise wirklich und aus dem Grunde ist es wirklich, weil es nicht das andere ist. Was da im einen Sterne wirklich ist; das entsteht dadurch, daß der andere Stern dies nicht ist. Getrennt sind die Dinge durch ihre einzelne Wirklichkeit. Das eine hat Wirklichkeit, weil es alles andere nicht ist und alles andere dieses Ding nicht ist. Das. aber faßt bereits der Sinn nicht auf. Er beginnt bereits das Band der Einheit des Wirklichen in sich zu bilden. Dieses Band besteht im Möglichen; in dem, was ein Ding mit dem anderen gemeinsam hat. Der Wirklichkeit nach ist weiß nicht schwarz; es ist da ein Gegensatz vorhanden. Aber beides kommt überein im Vermögen, sichtbar zu sein. „Laut“ And „leise“ ist der Wirklichkeit nach in schroffem Gegensatze zu einander. Aber das Vermögen ist gemeinsam, gehört zu werden. Dieses Vermögen also faßt der Sinn auf. Thomas geht noch weiter. Alle diese Fragen, die er oben im vorigen Kapitel stellte, sind wichtig. Hier besteht bereits ein durchdringender Dualismus. Wodurch wird das einzelne Ding, das da wirklich ist, getragen; — wodurch ist es selbständig? Nicht durch seine Wirklichkeit, denn die wechselt beständig, während das einzelne Ding dasselbe bleibt. Es trägt in sich 1. das Vermögen, eine allgemeine Seinsstufe einzunehmen; und gemäß diesem Vermögen der Substanz ist es das und nicht jenes; Mensch und nicht Tier. Es trägt 2. in sich das Vermögen, als einzelnes zu bestehen; denn es besteht in allem Wechsel immer als dasselbe einzelne, nicht bloß als ein Mensch oder als ein Tier im allgemeinen. Was also Subjekt, was im eigentlichsten Sinne Träger der Wirklichkeit im Dinge ist, der ganze Grund seines Seins, soweit dieser in ihm selber sich vorfindet; ist an und für sich Vermögen. Auf reinem Vermögen basiert das einzelne Geschöpf, soweit dessen eigenes Innere in Betracht kommt. Vermögen ist das Subjekt jedes einzelnen. Und da nichts beschränkt Wirkliches etwas geben kann, was es selber nicht hat, das Wirkliche aber darin besteht, daß es nicht das andere ist; so kann keines von solchen Vermögen, die allen Dingen oder doch einer ganzen Seinsstufe gemeinsam sind, Wirkliches verursachen. Da nun von solchem Vermögen jedoch das ganze einzelne Wirklichsein getragen wird und in ihm seine Richtschnur findet, so kann kein Geschöpf, soweit es Wirklichkeit hat, aus sich heraus auf ein anderes wirken, sondern nur vermittelst der Vermögen, die in ihm sind. Diese Vermögen aber können wieder nicht Wirklichkeit verleihen; denn sie schließen diese in ihrer Natur nicht ein. Also bleibt nur übrig, daß das geschöpflich Wirkliche nur wirkt kraft jenes Seins, dessen Vermögen reine volle einzelne Thatsächlichteit ist; und daß es nur wirkt nach Maßgabe der Vermögen, die es von diesem Sein erhalten. So ist Gott unmittelbar 1. die Ursache der allgemeinen Seinsvermögen im Dinge: des Wesens und des Princips für das Einzelsein. Er wirkt im Dinge immediatione suppositi; d. h. Er wirkt gleichmäßig das Subjekt in jedem Dinge, jene Möglichkeit, welche in einem jeden Dinge Träger aller Wirklichkeit ist; — Er ist, wie Thomas früher sagte, gegenwärtig dem Dinge kraft seines Wesens oder seiner Substanz; denn er wirkt das substantielle Vermögen im Dinge. Sodann ist Gott gegenwärtig 2. virtute et praesentia, indem Er zum einzelnen Wirklichsein bestimmt, das einzelne, stetig wechselnde Wirklichsein verursacht und damit den Dingen es giebt, selber thätig zu sein. Kraft dieser zweiten Einwirkung, mit welcher Gott die erste vollendet, gehen nun vom Wesen des Dinges wie von selbst die Vermögen aus; d. h. das Wesen offenbart, welche Kräfte ihm thatsächlich innewohnen, auf daß es demgemäß in Wirklichkeit thätig sei. Ihr Princip, so unterschied Thomas oben, ist gleichmäßig und ohne Unterschied das Wesen des Dinges, hier also die Seele. Denn kraft der Seele allein wirken diese Vermögen oder sind geeignet, einzelnes Sein zu empfangen und der Seele zuzuführen. Ihr Träger oder ihr Subjekt, ihr Sitz, ist aber nicht unmittelbar immer die Seele; denn die Art und Weise ihrer Wirksamkeit und ihrer Fähigkeit zu empfangen ist eine verschiedene. Es ist nicht schlechthin das Allgemeine, worauf sie sich richten und worauf die Seele an und für sich gerichtet ist; sondern sie haben zum Teil vor sich nur einen beschränkten Seinskreis, wie das Sichtbare, das Hörbare und danach muß in ihr Subjekt das Beschränkte wesentlich eintreten. Immer aber sind sie ihrer Natur nach rein Vermögen, ein Können für das Sein. Ihr eigentlicher Gegenstand ist wieder ein Vermögen; sie offenbaren ja immer nur das eigene, ihrem Sein zu Grunde liegende Vermögen. Und da von ihnen das Wirken abhängt, so ist dieses Wirken vom Geschöpfe aus nur wieder Vermögen, setzt voraus das Einwirken Gottes durch den Anstoß zur Wirksamkeit und es folgt ihnen das Einwirken Gottes, die einzelne Wirklichkeit verleihend. Die einzelnen Vermögen des Menschen sammeln nun das Können der gesamten sichtbaren Natur von engeren Kreisen aus; nämlich von den äußeren Sinnen an durch innere weitere, durch die inneren Sinne hindurch bis zum weitesten Grundvermögen, der Auffassung des Wesens, des Einen, des durchaus Allgemeinen in der Vernunft. So giebt die Seele in sich selber allen diesen Vermögen die Kraft, in wechselseitiger reinster Harmonie jeglichen Gegensatz und Mangel von sich abzustreifen, sich mit ihrem gemeinsamen Sein zu durchdringen und anstatt der nichtigen Wirklichkeit hier im Stoffe, die darin besteht, daß das eine nicht das andere ist, ihre Fülle und Vollendung zu finden in dem rein Wirklichen, dessen Wesen allein zugleich das Princip für die eigene Wirklichkeit bildet und für alles Wirkliche außer Ihm. Hatten die Dinge bis jetzt wechselvolle Wirklichkeit, weil der Grund, auf dem sie in sich selber ruhten, nur mehr oder minder allgemeine Möglichkeit, Vermögen war, aus dem niemals mit unfehlbarer Sicherheit das Einzelne als solches folgen konnte, so finden sie in der Seele unmittelbar oder vermittelst der allgemeinen Wesenheiten nun den vollen ausreichenden Grund auch für das einzelne Wirklichsein; und jegliches erzählt ohne Wechsel nach seiner Weise, wie viel und wie beschaffenes Vermögen es durch den gütigen Willen Gottes erhalten, damit es an der einzelnen Wirklichkeit im Verein mit allem anderen Sein teilnehme. „Frage nun das Vieh, es wird dich lehren; die Vögel des Himmels, sie werden es dir anzeigen; sprich mit der Erde, sie wird es dir sagen; die Fische des Meeres werden dir erzählen; wer weiß nicht, daß die Hand des Herrn dieses alles gemacht hat.“ Der heilige Thomas wird nun im einzelnen zeigen, wie die einzelnen Vermögen das „Gemeinsame“ in den einzelnen Dingen herauszuschälen wissen je nach dem Subjekt, von welchem sie getragen werden; und, da von ihrer Thätigkeit die Seele allein gleichmäßig das Princip ist, wie diese Vermögen auch wieder Alles zur Seele zurücktragen und deren Wohl damit befördern; ist sie doch „der Zweck all dieser Vermögen“.
