Dritter Artikel. Es besteht eine wirkende Vernunft.
a) Das Gegenteil geht aus Folgendem hervor: I. Wie der Sinn zum sinnlich Wahrnehmbaren sich verhält, so die Vernunft zum geistig Erkennbaren. Es wird aber aus dem Grunde weil der Sinn mit Rücksicht auf das sinnlich Wahrnehmbare bestimmbar ist, kein einwirkender Sinn angenommen. Also ist der Umstand, daß unsere Vernunft im Zustande des Vermögens für das Erkennbare steht, kein Grund, um eine einwirkende Vernunft anzunehmen. II. Wird erwidert, beim Sinn bestehe auch ein einwirkendes Moment wie z. B. das Licht beim Sehen; so antwortet man, das Licht sei da nur erfordert, um das zwischen dem Gegenstande und dem Auge Liegende, die Luft nämlich, durchscheinend zu machen; denn die Farbe hat es ihrer Natur nach an sich, die Sehkraft zu bethätigen. Die Thätigkeit der Vernunft aber kennt nichts, was in dieser Weise zwischen ihr und dem Gegenstande läge. Also besteht da auch keine einwirkende Vernunft. III. Die Ähnlichkeit des einwirkenden Erkennbaren wird im Erkenntnisvermögen aufgenommen gemäß der Seinsweise des letzteren. Die „mögliche“Vernunft aber, die da erkennen kann und die Erkenntnisform in sich aufnimmt, um danach thätig zu sein, ist stofflos. Also genügt die Stofflosigkeit derselben, daß die Erkenntnisform in ihr eine stofflose Seinsweise gewinne. Nun ist aber eine Form gerade deshalb eine thatsächlich erkennbare, weil sie vom Stoffe fern ist. Also bedarf es keiner einwirkenden Vernunft, damit die Formen thatsächlich erkennbare werden. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (3. de anima): „Wie in jeder Natur, so ist in der Seele etwas, wodurch sie alles wird (was dem Vermögen der Natur entspricht) und etwas wodurch sie alles macht“ (was da der Kraft in der Natur gemäß ist). Also existiert eine einwirkende Vernunft, wodurch die Seele macht, daß etwas thatsächlich erkennbar ist.
b) Ich antworte, daß wohl Plato keine Notwendigkeit hatte, eine einwirkende Vernunft anzunehmen, außer etwa, um Licht dem Erkennenden zu bieten. Denn nach ihm waren die Gattungsformen getrennt vom Stoffe, also aus sich heraus kraft ihrer Natur thatsächlich erkennbar; da die Stofflosigkeit die Vorbedingung für die Erkennbarkeit ist. Er nannte diese Formen deshalb Ideen und nahm an, die Stofflichen Dinge hätten insoweit Sein in „Art“ und Gattung, als sie an diesen Formen irgendwie Anteil hätten, ebenso wie unsere Vernunft kraft der Verbindung mit diesen Formen erkennen könnte. Aristoteles aber (3 Metaph.) nahm das nicht an. Und da die Formen im Stoffe ihrer Natur nach nicht thatsächlich erkennbar sind, sondern nur das Vermögen haben, erkennbar zu werden; so folgt, daß die Naturen der sichtbaren Dinge, die unseren eigensten Erkenntnisgegenstand bilden, nicht thatsächlich erkennbar sind. Nichts aber geht von Vermögen zum Thatsächlichen über außer kraft eines Seins, das thatsächlich besteht; wie der Sinn durch das thatsächlich Wahrnehmbare aus einem Vermögen ein thatsächlich erkennender wird. Also mußte von seiten der Vernunft eine gewisse Kraft angenommen werden, die da macht, daß die sichtbaren Naturen von ihren stofflichen Einzelbedingungen losgelöst erscheinen und so thatsächlich erkennbar sind. Das ist die Notwendigkeit, eine „einwirkende“ Vernunft anzunehmen.
c) I. Die sinnlich wahrnehmbaren Dinge sind als solche, als Gegenstand der Sinne, dem thatsächlichen Sein nach außerhalb der Seele und deshalb bedarf es keines einwirkenden Sinnes, um sie erst thatsächlich wahrnehmbar zu machen. Und so erhellt wie auf seiten der Nährkraft alle Vermögen einwirkend sind; — auf seiten der Sinneskräfte ist nur leidendes bestimmbares Vermögen; — auf seiten der Vernunft ist etwas Einwirkendes, das den Erkenntnisgegenstand von den stofflichen Einzelheiten losschält und so als thatsächlich erkennbar hinstellt, und etwas Leidendes, was den Erkenntnisgegenstand in sich aufnimmt und eine thatsächlich erkennende Vernunft erst wird. II. Betreffs der Wirkung des Lichtes besteht eine doppelte Meinung. Die Einen wollen, daß durch das Licht die Farben thatsächlich sichtbar werden; und danach würde das Licht für das Sehen dasselbe thun, was die „einwirkende“ Vernunft für das geistige Erkennen. Andere aber wollen, daß die Farben wohl thatsächlich sichtbare seien ihrer Natur nach, daß aber das Licht erfordert werde, um die dazwischenliegende Luft durchscheinend zu machen, wie Averroës sagt. (3. de anima.) Danach nun würde der Vergleich des Aristoteles, gemäß dem er die „einwirkende“ Vernunft als Licht bezeichnet, nur darauf gehen, daß beides notwendig sei: das eine um geistig zu erkennen, das andere um zu sehen; aber der Grund für die Notwendigkeit würde nicht derselbe sein in beiden Fällen. III. Der Einwurf hat recht, wenn ein Einwirkendes vorher existiert. So wird ein und dasselbe einwirkende Licht im grünen Glase grün, im gelben gelb sein, wegen der Verschiedenheit im Sein dessen, was den Einfluß aufnimmt. Im Bereiche der sichtbaren Naturen aber existiert nichts, was thatsächlich vernünftig erkennbar wäre, also von vornherein und ohne weiteres einwirken könnte. Dazu muß eben die „einwirkende“ Vernunft angenommen werden, damit die Natur im Stoffe erst eine thatsächlich erkennbare werde, anstatt nur vermögend zu sein, erkannt zu werden.
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