Neuntes Kapitel. Die Unveränderlichkeit Gottes. Überleitung.
„Denn meine Tage haben sich geneigt wie der Schatten: und gleich verdorrtem Grase bin ich ausgetrocknet. Du aber, Herr, bleibst in Ewigkeit: und Dein Gedächtnis steht fest von Geschlecht zu Geschlecht. Die Himmel werden vergehen; Du aber bleibst; und alle Dinge werden gleich einem Kleide abgeschliffen werden. Du wirst sie verändern wie man ein Gewand ablegt und verändert werden sie werden: Du aber bleibst immerbar derselbe und Deine Jahre vergehen nicht. (Ps. 101.) Daß wir nur immer festen Auges unser Elend anblicken, das ist der erste Schritt zur Verherrlichung Gottes. Damit ist nicht geholfen, daß wir uns selber vorlügen, wie hoch erhaben unsere Fähigkeiten seien, wie sehr selbst Gott sie achten und auf sie sehen muß. Eine falsche Ansicht über unsere Freiheit ändert es nicht, daß unsere Freiheit in der That keineswegs die des Schöpfers ist; nämlich von allen Seiten her Unabhängigkeit; — vielmehr tritt die thatsächliche Wirklichkeit dann um so verwirrender vor das Herz, denn sie kann nicht erklärt werden. Eine falsche Ansicht über die Erhabenheit unserer Vernunft ändert es nicht, daß dieselbe infolge unserer stofflichen Natur an die Schranken der sichtbaren Kreatur in ihrer thatsächlichen Äußerung gebunden ist. Die Erfahrung ist dann nur um so bitterer. Was ist der Grund davon, daß der Mensch in der Offenbarung so oft Schranken sieht, während sie der Quell des Unendlichen und Unermeßlichen sein muß; da sie doch vom Unendlichen, vom wesentlich Unermeßlichen unmittelbar kommt! Was ist der Grund, daß man nur mit Angst das Schifflein seines Geistes auf das Meer der heiligen Mysterien steuert anstatt mit froher Hoffnung und innigstem Dankgefühle gegen den offenbarenden Gott auf den Fischfang reicher Verdienste und freudigen Trostes auszugehen! Was hindert es, daß wir im Gesetze Gottes anstatt ein Hindernis unserer Freiheit und einen Gegensatz zur selben zu sehen, die Stimme vielmehr hören: „Steuere herauf auf die Höhe des Meeres“ Duc in altum! O fürwahr: „Steige hinan, der Du in Sion das Heil verkündest!“ Nicht die Furcht, um die geträumte Unbeschränltheit und allseitige Selbständigkeit betrogen zu werden; nicht die Scheu, als ob wir um die vermeintliche Erhabenheit unseres Geistes kommen würden und liebgewordene Wahrheiten aufgeben müßten, muß uns Mißtrauen einflößen gegen die göttlichen Wahrheiten und da wo möglich Widerspruch finden, wo nur Geheimnis, also eine neue Quelle göttlichen Lichtes aus unserem Heim selber entgegenquillt. Nein; wir müssen unsere volle Ohnmacht entgegentragen der göttlichen Macht; unser Elend vorstellen dem göttlichen Arzte; unsere stete Veränderlichkeit zu einer Quelle unerschütterlichen Vertrauens machen auf die unverwüstliche Festigkeit Gottes. Schau auf das Meer! Da ist nur Wasser und immer wieder so weit das Auge reicht Wasser; und nach Jahrzehnten, nach Jahrhunderten dem Laufe der Natur nach Wasser gesehen werden, wie es jene gesehen, die vor uns waren. Schau' zum Firmamente da oben! Da ist Stern an Stern; und jeder verfolgt seine Bahn und vor Jahrtausenden war es die nämliche Bahn, für jeden waren es dieselben Sternbilder und leiteten sie mit derselben Sicherheit die stetig wechselnde Zeit. Schau' auf Gott! Er ist der Mächtigste; keine Gewalt von außen hat Einfluß auf ihn, von außen her kann Er nicht verändert werden. Er ist die Fülle; in Ihm ist nichts, was nach außen treibt, um da Befriedigung zu suchen; von innen her ist ebenfalls keine Veränderung möglich. Schau'auf dich und deine Umgebung! Da vergeht alles und Neues tritt an die Stelle. Die eine Pflanze macht der anderen Platz, das eine Tier weicht dem anderen. Kaum entstanden eilt dieser gemischte Stoff dem Untergange entgegen. Und du selbst? „Niemals bist du derselbe;“ Furcht folgt dem Hoffen und Hoffnung der Furcht. Jetzt freust du dich und bald weinst du bittere Thränen. Nun reich, morgen arm. Nun niedrig, morgen hoch. Der Sünder wird tugendhaft, die Tugend fällt elendiglich.„Die Säulen der Standhaftigkeit zu sein schienen, stürzen;“ und die da wie arme Thore vor der Welt wandelten, erreichen ihr Ziel! Wende den Blick nicht ab von dir selbst, o Mensch, und deinem Nichts. Nicht mit Vertuschung der Sachlage ist dir geholfen; sondern mit der Überzeugung von der Wahrheit. Engel sogar sind gefallen einzig und allein, weil sie einen Augenblick vergessen hatten, daß sie von sich aus „elend waren und schwach und von gar keinem Werte“; weil sie einen Augenblick Gott verlassen hatten. Richte dein Auge recht fest, wie dir das der Psalmist so häufig durch sein Beispiel lehrt, auf dein eigenes Schwanken auf deine eigene Veränderlichkeit; habe Furcht vor dem Einflusse deines nichtigen Ursprunges. Und dann fliehe zu Gott, der „nicht wie das Kind des Menschen ist, daß Er sich ändere“; (num. 23.); der von sich selber sagt: „Ich bin dein Gott, ich ändere mich nicht“ (Malach. V.); den der Apostel preist mit den Worten: „Bei Ihm ist keine Änderung und auch nicht der Schatten eines Wechsels.“ Er verändert und wird nicht verändert; „wie die Sonne die gesunden Augen tröstet, die kranken peinigt, selbst aber dieselbe bleibt.“ Von Ihm empfange Unveränderlichkeit. Mit Ihm zusammen wirst du selber unveränderlich. Er will geben, wolle empfangen. Und damit du dies könnest, mache dir immer einen größeren Begriff von deiner Schwäche und Ohnmacht; du wirst damit zugleich immer tiefer eindringen in die Überzeugung von Gottes Macht und Unveränderlichkeit. Nur soweit bist du etwas, als du von Ihm empfängst. Nur so weit bist du, als du mit Ihm eins bist. „Wer Gott anhängt, ist eines Geistes mit Ihm.“ (1. Kor. 6.)
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