Erster Artikel. Die Ewigkeit ist der vollkommene Besitz des endlosen Lebens, er dieses Leben ganz und zugleich in sich begreift.
a) Diese Begriffsbestimmung des Boëtius scheint nicht zukömmlich zu sein. Denn: I. „Endlos“ ist etwas Negatives. Das Negative aber gehört nur zum Wesen dessen, was unvotllommen ist. Also darf dieser Ausdruck nicht in die Begriffsbestimmung der Ewigkeit gesetzt werden, welche etwas durchaus vollkommenes vorstellt. II. Die Ewigkeit ist eine Dauer. Die Dauer aber hat mehr Beziehung zum Sein wie zum Leben. AIso ist der Ausdruck „Leben“ mangelhaft. III. „Ganz“ wird nur etwas genannt, was Teile hat. Die Ewigkeit aber hat keine Teile. AIso darf dieser Ausdruck nicht darin stehen. IV. Mehrere Tage können nicht zugleich sein und auch nicht mehrere Zeiten. In der Ewigkeit aber werden mehrere Tage und mehrere Zeiten genannt; wie Michäas (5, 2.): „Sein Ausgang ist vom Beginne, von den Tagen der Ewigkeit;“ und Röm. (16, 25.): „Gemäß der Offenbarung des Geheimnisses, das da in den ewigen Zeiten verborgen war.“ Also ist die Ewigkeit nicht ganz und zugleich. V. „Ganz“ und „vollkommen“ ist dasselbe. Einer dieser beiden Ausdrücke ist also überflüssig. VI. „Besitzen“ gehört nicht zur Dauer. Die Ewigkeit aber ist eine Dauer. Also wird sie fälschlich als „Besitz“ gekennzeichnet. Auf der anderen Seite steht die Autorität des Boëtius.
b) Ich antworte, daß, wie wir zur Kenntnis der einfachen Größen nur kommen können vermittelst des Zusammengesetzten, so vermögen wir auch nur zu erkennen, was unter der Ewigkeit zu verstehen sei, vermittelst der Zeit, die nichts anderes ist, als die Zahl der Bewegungen gemäß dem „Vorher“ und „Nachher“, d. h. gemäß dem, daß etwas schon vorhergegangen ist und etwas noch kommen wird; — nämlich gemäß der Bewegung, welche die entsprechende Thätigkeit des beweglichen, aus Teilen bestehenden Dinges ist. Denn da in jeder Bewegung Aufeinanderfolge ist und ein Teil hinter dem anderen steht, so liegt eben das Auffassen der Zeit darin, daß wir das Aufeinanderfolgende, also das, was vorher ist und was darauf nachher folgt, zählen, und das ist wieder nichts anderes als eben zählen das Vorher und das Nachher in der Bewegung. Gleichwie also im Zählen dieses Vorher und Nachher das Wesen und die Natur der Zeit besteht; so besteht im Auffassen dessen, was stets sich selber gleichförmig außerhalb aller Bewegung sich findet, das Wesen oder die Natur der Ewigkeit. Ebenso wird jenes gemessen in der Zeit, was Anfang und Ende hat, wie Aristoteles (4. Physik.) sagt; und zwar aus dem Grunde, weil in allen jenen Dingen, welche beweglich sind, etwas als Anfang zu betrachten ist und etwas als Ende. Was aber ganz und gar unveränderlich ist und sonach auch in seinem Sein keine Aufeinanderfolge duldet, das hat weber Anfang noch Ende. Aus zwei Elementen somit wird uns die Ewigkeit bekannt: 1. daraus daß, was in Ewigkeit ist, kein Ende hat, weder ein Ende nämlich nach dem Anfange hin, von dem aus sein Sein begonnen hätte; noch ein Ende nach dem Schlüsse hin, wo sein Sein nicht mehr wäre; — und 2. daraus daß, im ewigen Sein keinerlei Aufeinanderfolge sich findet, daß es ganz zugleich ist.
c) l. Es werden die einfachen Größen allerdings vermittelst der Leugnung des Zusammengesetzten begrifflich bestimmt, wie auch hier die Ewigkeit; und wie z. B. der „Punkt“ darin besteht, daß von ihm nichts als Teil bezeichnet werden kann. Das geschieht jedoch nicht deshalb, als ob nun wirklich ihr Sein dem Wesen nach eine Leugnung, eine Negation einschlösse; sie wären ja eben dann, da sie einfache Größen sein sollen, gar nicht. Vielmehr findet dies darum statt, weil unsere Vernunft zuerst das Zusammengesetzte auffaßt und somit zur Kenntnis des Einfachen gar nicht kommen kann, außer dadurch, daß sie in diesen einfachen Größen die Zusammensetzung leugnet. II. Jenes Sein, welches wahrhaft ewig ist, hat oder ist vielmehr nicht nur Sein, sondern es ist auch etwas Lebendes. „Leben“ aber erstreckt sich gewissermaßen auf das Thätigsein, worauf sich das Sein an und für sich nicht erstreckt. Die lange Dauer nun scheint vielmehr ihren Grund zu haben im Thätiglein als nur im einfachen Sein; wie ja auch die Zeit im Zählen der Bewegungen, also der Thätigkeit des Stoffes besteht. Deshalb ist es genauer, in der Begriffsbestimmung der Ewigkeit „Leben“ zu setzen als „Sein“. III. Die Ewigkeit wird „ganz“ genannt, weil ihr nichts fehlt; nicht als ob sie Teile hätte. IV. Gott ist reiner Geist und wird doch mit Namen bezeichnet, die aus dem Körperlichen genommen sind; es sind dies eben in der Schrift Figuren, welche dazu dienen, das Sein Gottes in etwa verständlich zu machen. So wird nun auch die Ewigkeit, die da ganz zugleich ist, mit Namen bezeichnet, welche aus der zeitlichen Aufeinanderfolge genommen sind. V. In der Zeit sind zwei Momente zu unterscheiden: 1. Die Zeit selber, welche wesentlich in der Aufeinanderfolge besteht; —und um dies von der Ewigkeit zu entfernen, wird gesagt „ganz zugleich“; 2. der Augenblick in der Zeit, das Nun der Zeit, welches nur unvollkommene Existenz hat, nämlich nur im Vermögen besteht für das Einwirken des Erstbewegenden in die Thätigkeit des Stoffes; — und um dieses Unvollkommene, Mögliche, von der Ewigkeit auszuschließen; wird in der Definition gesagt: „vollkommen“. (Cf. über das Verhältnis des Nun der Zeit zum Nun der Ewigkeit mein Werk: „das Wissen Gottes“, III. Abteilung, Kapitel 8, §. 1.) VI. Was im Besitze gehalten wird, das hat man mit ruhiger Festigkeit. Um also das Unveränderliche und die Unmöglichkeit alles Mangels in der Ewigkeit auszudrücken, ist gesagt: Der Besitz.
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