Erster Artikel. Der eine Engel spricht zum anderen.
a) Es scheint, daß bei Engeln von einem Sprechen nicht die Rede sein kann. Denn: I. Gregor der Grohe (18. Moral. c. 27.) sagt: „Im Zustande des auferstandenen Leibes verbirgt die Körperlichkeit der Glieder den Geist des einen nicht vor dem anderen.“ Also ist noch weniger der Geist eines Engels verborgen vor dem des anderen. Die Sprache aber dient zur Offenbarung dessen, was im Geiste verborgen ist. Also giebt es bei den Engeln kein Sprechen. II. Ein zweifaches Sprechen wird unterschieden: ein inneres, vermittelst dessen jemand zu sich selber spricht; und ein äußeres, vermittelst dessen er zu einem anderen spricht. Letzteres aber vollzieht sich durch ein äußeres Zeichen, z. B. durch die Zunge, den Finger oder in ähnlicher Weise, was einem Engel nicht zukommt. Also spricht ein Engel nicht zum anderen. III. Der Sprechende weckt den Höheren, daß er auf ihn aufmerke. Das aber scheint beim Engel nicht der Fall zu sein, da dies bei uns vermittelst eines äußeren Zeichens geschieht. Auf der anderen Seite sagt der Apostel (1. Kor. 13.): „Wenn ich mit den Zungen der Menschen spräche und der Engel.“
b) Ich antworte, bei den Engeln giebt es ein gewisses Sprechen. Denn es ist, wie Gregor der Große (2. moral. 4.) sagt, „der Mühe wert, daß unser Geist von der Art und Weise des körperlichen Sprechens absehe und aufmerke auf die erhabenen und geheimnisvollen Weisen der innerlichen Sprache.“ Wollen wir aber nun sehen, wie ein Engel dem anderen spricht, so müssen wir uns dessen erinnern, was früher über die Vermögen und Thätigkeiten der Seele abgehandelt worden ist. Da wurde auseinandergesetzt, wie der Wille die Vernunft zur Thätigkeit hinbewegt. Nun ist aber das Erkennbare in dreifacher Weise in der Vernunft: 1. In der Weise eines Zustandes oder im Gedächtnisse; 2. als thatsächlich erkannt und betrachtet oder aufgefaßt; 3. als bezogen auf etwas Anderes. Zudem ist offenbar, daß das Erkennbare von der ersten Stufe auf die zweite übergeht vermöge eines Gebotes von seiten des Willens; heißt es ja doch in der Begriffsbestimmung eines Zustandes: „dessen sich jemand bedienen kann, wenn er will.“ Und ähnlich wird das Erkennbare von der zweiten auf die dritte Stufe gebracht vermöge des Willens; denn durch den Willen wird die Auffassung der Vernunft auf etwas Anderes bezogen, sei es auf das entsprechende Wirken sei es auf das Mitteilen oder auf die Kenntnisgebung einem anderen gegenüber. Wann nun der Geist sich thatsächlich zu sich selber wendet, um das sich gegenwärtig zu halten, was er im Gedächtnisse hat, so spricht er zu sich selber; denn die Auffassung der Vernunft eben wird, soweit sie thatsächlich dem Geiste gegenwärtig ist, das „innere Wort“ genannt. Wird aber die Auffassung vom Willen des Engels darauf hingelenkt, daß sie einem anderen bekannt werde, so wird alsbald die betreffende Auffassung dem anderen bekannt; und das heißt: Sprechen zu einem anderen Engel. Denn Sprechen heißt nichts Anderes als die Auffassung, des eigenen Geistes einem anderen offenbar machen.
c) I. In uns wird die innere Auffassung des Geistes durch ein zweifaches Thor gleichsam geschlossen: 1. Durch den Willen selber, der die betreffende Auffassung entweder in sich behalten oder anderen offenbar machen kann; — und danach kann nur Gott den inneren Geist eines jeden sehen, wie Paulus schreibt (1. Kor. 2.): „Was im Menschen ist, weiß niemand außer der Geist des Menschen, der in ihm ist;“ — 2. durch die grobe Körperlichkeit, wonach der Wille nicht genügt, um etwas bekannt zu geben, sondern noch ein äußeres Zeichen angewendet werden muß. Und darauf weist Gregor hin (2. moral. 4.) mit den Worten: „Für fremde Augen stehen wir innerhalb unseres geheimen Geistes gleichsam hinter der Wand unseres Körpers. Wenn wir aber uns selber offenbar machen wollen, so treten wir gewissermaßen durch das Thor der Zunge heraus, damit wir zeigen, wie beschaffen wir im Innern sind.“ Dieses zweite Thor nun ist beim Engel kein Verschluß für die innere Auffassung. Vielmehr wird letztere bekannt, sobald er will. II. Das äußere Sprechen vermittelst der Zunge kommt sonach dem Engel nicht zu; sondern nur das innerliche Sprechen. Dieses aber begreift in sich nicht nur den Willen, sich selber einen Gedanken gegenwärtig zu halten; sondern auch, ihn anderen zugänglich zu machen. Die „Zunge der Engel“ also ist bildweise die Kraft selber im Engel, vermittelst deren er seine Auffassung offenbar macht. III. Soweit es die guten Engel angeht, die sich gegenseitig im „Worte“ immer sehen, bedürfte es keines Weckmittels, um die Aufmerksamkeit des anderen auf den Sprechenden zu lenken. Denn da im Wesen Gottes ein Engel den anderen sieht, so sieht er auch immer das in selbem, was auf ihn Bezug hat. Weil jedoch die Engel auch vor ihrer Beseligung sich sprechen konnten und die bösen Engel gegenwärtig sich gegenseitig sprechen, so muß man sagen, daß wie der Sinn vom sinnlichen Gegenstande bewegt und geweckt wird, so die Vernunft vom geistig Erkennbaren. Wie also ein sinnliches Zeichen den Sinn weckt, so kann durch irgend welche Kraft in der Vernunft die Engelvernunft geweckt werden, daß sie aufmerkt.
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