Elftes Kapitel. Die Einheit Gottes. Überleitung.
„Höre, Israel, der Herr, dein Gott, dein Herr ist ein einiger Gott.“ (Deut. 6,4.) So rufen uns gleichsam nun, nachdem sie gefestiget worden in der Ewigkeit, mit dem großen Gesetzgeber die Kreaturen zu. Wer wird das Herz des Menschen festhalten und wird es anheften, daß es ein wenig stehe?“ fragt der heilige Augustinus. (11. Conf. cap. 11.) „Der Glanz der Ewigkeit;“ antwortet er. Von der Ewigkeit her, vom nimmer vergehenden und immer sich gleichbleibenden Äugenblicke strömt Festigkeit in das lose Zeitliche. Von ihr aus wird der unaufhörliche Fluß zusammengehalten. Nur mit ihr verglichen giebt es ein Vor und Nach, giebt es überhaupt eine Zeit Denn beständig strömt von ihrer Fülle die Einheit in die Teile des Sichtbaren und wird auf Grund derselben das Vor zum Nach gefügt, die Aufeinanderfolge und damit die Entwicklung ermöglicht. Es liegt hier im Geschöpflichen eine Einheit vor, welche nur im Vermögen besteht; eine Einheit, welche, gleichwie ein Kaleidoskop, beständig gedreht, fortwährend neue Bilder giebt, so beständig andere Seiten des kreatürlichen Vermögens hervorkehrt und damit immer von neuem die Ünerschüpflichkeit von Gottes Allmacht offenbart, aus welcher alles geflossen. Welche Einheit! Sie ist dermaßen schön in der Schöpfung, daß die Menschen sich dadurch verleiten lassen, bei dieser stehen zu bleiben; anstatt zu denken, wie herrlich der Urgrund sein muß in seiner unerschütterlichen unzerrstörbaren Einheit, wenn schon das Vorübereilende, dem Tode Bestimmte mit solch majestätischer Gewalt und mit so großer Ruhe die wundervolle Einheit inmitten der verschiedenartigsten Teile zeigt. Das Wasser fließt seiner Natur nach hinab, das Feuer steigt empor, die Luft breitet sich aus! Aber siehe da; in der Pflanze vergessen diese Elemente ihrer eigenen Natur. Bis zur Krone steigt da die Feuchtigkeit empor, bis zur tiefsten Wurzel bringt die Wärme hinab, niemals sprengt die im Innern zusammengepreßte Luft das zarte Pflänzchen auseinander. Wie viel Kraftaufwand bedarf es für den Menschen, dasselbe in weit niedrigerem Maßstabe zu thun! Und hier geschieht es mit solcher Einheit, in solch friedvoller Ruhe, daß man auf den ersten Augenblick gar nicht daran denkt, es könnte anders sein. Es geschieht mit Freuden. Es geschieht kraft der Natur selber. Woher kommt dies? Welch ungeahnte Gewalt überwindet mit solch staunenswerter Leichtigkeit,das Wesen selber dieser Elementarkräfte, soweit sie einzeln für sich betrachtet werden? Die Lebenskraft. Es soll, meint man gern, nichts über die Natur hinaus vorhanden sein! Ein Verbrechen möchte es scheinen in den Augen so mancher, von Schranken der Natur zu sprechen! Aber die Schranken sind da, bereits in den Elementarkräften. Nichts in der Welt kann es dem Wasser geben, seiner eigensten Natur überlassen, nicht hinabzufließen. Nun aber steigt dasselbe in der Pflanze ebenso natürlich und ohne den mindesten Zwang empor! Wer dem Wasser die Natur gegeben zu fließen, der macht es ihm auch in der Pflanze natürlich, emporzusteigen. Er giebt jene Einheit der Pflanze, wir meinen jene Lebenskraft, welche das Vermögen besitzt, die natürlichen Gewalten der Elemente spielend zu überwinden. Und wenn das Meer steigt mit allen seinen Wassermassen wie von riesigen Säulen nach und nach in die Höhe hinaufgetragen; ist das nicht natürlich? Die Einheit der ganzen Schöpfung ist, wie man sich mit Recht rühmt, heute so genau nachgewiesen. Es wird so viel gesprochen von der Einheit der Naturkräfte. Der Himmel erzeugt hier auf Erden, die Erde offenbart die Pracht und den Inhalt der Himmelskräfte. Jeder Lichtstrahl ist ein Schatz von unbekannten Elementen, welche darauf hinausgehen, die Erzeugnisse der Erde den himmlischen Substanzen, dem Stoffe der Gestirne ähnlich zu machen. Und doch ist diese Einheit offenbar in sich nur Vermögen, denn wie oft wird sie gestört. Und zudem wer leitet die Lichtstrahlen auf den bestimmten Flecken Erde; wer öffnet ihnen da den Eintritt in den Samen, in das sprossende Gräschen, daß sie es entwickeln und der Substanz ihres Himmelskörpers ähnlich machen; wer sagt der Blume, daß sie sich öffne und der Blüte, sie soll nur recht breit ihre Blätter ausstrecken, um Himmelsnahrung durch das Licht zu erhalten?! Es ist überflüssig, noch mehr hinzuzufügen. Wer seine Augen schließen will, der schließe sie. Aber die Einheit der einzelnen Dinge; die Einheit ganzer Seinskreise, die Einheit der gewaltigen Gesamtnatur; — sie ruft mit tausend Stimmen, lauter wie Meeresbrausen, uns zu: „Höre, Israel, der Herr, dein Gott, dein Herr ist ein einiger Gott.“ Nur jene makellose, stets thatsächliche und zum Wirken bereite Einheit konnte diese riesenhafte Einheit in den Vermögen der Natur herstellen. Nur diese erhabenste Einheit kann sie erhalten. Nur der einige Gott kann sie bethätigen, offenbar machen; denn nur Er, als einiger Gott hat die Kraft dazu: „Ziehe deinen Geist zurück und siehe; sie zerfallen und in Staub kehren sie zurück.“ (Ps. 103.) Kaum ist die Lebenskraft aus der Pflanze geschieden, so geht jedes Element gleichsam müde dessen, daß es nicht immer so konnte, seinen eigenen Weg. Doch betrachten wir nun, wie Thomas diese Einheit Gottes erklärt.
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