Vierter Artikel. Die guten Engel stehen den bösen vor.
a) Folgende Gründe sprechen gegen diese Behauptung: I. Die bösen Engel werden von den guten nicht erleuchtet; also auch nicht gelenkt. II. Von der Nachlässigkeit des Vorstehers kommt es, wenn die Untergebenen Übles thun. Die Dämonen aber thun viel Böses. Also würde dies der Nachlässigkeit der Engel in ihrer Leitung zuzuschreiben sein. III. Die Vorsteherschaft der Engel im allgemeinen beruht auf der Ordnung in ihrer Natur. Da aber aus allen einzelnen Engelchören Dämonen gefallen sind,wie gemeinhin gesagt wird, so müßten manche gute Engel eines niederen Chores den bösen Engeln eines höheren gehorchen. Auf der anderen Seite sagt Augustin (3. de Trin. cap. 4.): „Der vom Leben abgefallene sündige Engel wird gelenkt durch den vernünftigen Geist des Lebens, der fromm und gerecht ist.“
b) Ich antworte, die ganze Regelung des Vorstehens sei zuerst und wie in ihrer Wurzel in Gott; die Kreaturen nehmen daran teil, je nach dem sie Gott näher sind. Denn jene Kreaturen haben mehr Einfluß und sind vollkommener, die Gott näher stehen. Die größte Vollkommenheit aber und durch welche man am meisten Gott nahe steht, ist die jener Kreaturen, die Gott schauen und genießen; wie z. B. die heiligen Engel. Also stehen die heiligen Engel den Dämonen vor und lenken sie.
c) I. Die heiligen Engel teilen den Dämonen Vieles von den göttlichen Geheimnissen mit; insofern die göttliche Gerechtigkeit es so will, daß Vieles durch die Dämonen geschieht, sei es zur Bestrafung der Bösen sei es zur Übung der Guten; wie ja auch in den menschlichen Verhältnissen die Beisitzer des Richters den Gefängniswärtern oder dem Henker den Spruch des Richters mitteilen. Derartige Mitteilungen sind von seiten der Engel Erleuchtungen, denn sie beziehen dieselben auf Gott; von seiten der Dämonen aufgefaßt sind es keine Erleuchtungen, denn sie mißbrauchen dieselben, um ihrer eigenen Bosheit zu genügen. II. Die heiligen Engel sind die Diener der göttlichen Weisheit. Diese aber läßt manches Übel zu, daß es die Dämonen oder die Menschen thun,wegen des Guten, was sie aus selbem erreicht. So also verhindern auch die heiligen Engel die Dämonen nicht ganz und gar, manches Böse zu thun. III. Auch der Engel eines niederen Chores steht den von Natur höheren Dämonen vor. Denn die Kraft der göttlichen Gerechtigkeit, die im Engel waltet, ist mächtiger als alle Natur. Deshalb gilt es auch bei den Engeln, daß „der geistige Mensch Alles beurteilt“; (1. Kor. 11, 15.) und Aristoteles sagt (3 Ethic. 4.): „Der Tugendhafte ist die Regel und das Maß aller menschlichen Thätigkeit.“
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