Erster Artikel. Die geschöpfliche Vernunft kann kraft und vermittelst seines Wesens Gott schauen.
a) Gegen diese Behauptung spricht zuvörderst die Schrift: I. Bei I. Joa. 4. heißt es: „Gott ist noch von Niemandem, gesehen worden.“ Dazu sagt Chrysostomus: „Dieses Sein selber, was Gott ist, haben weder die Propheten gesehen noch die Engel noch die Erzengel. Denn wie könnte von dem, was seiner Natur nach geschöpfiich ist, jenes gesehen werden, was seiner Natur nach nicht geschöpflich ist“ (hom. 14.). Dionysius sagt zudem ebenfalls von Gott (I. de div. nom. cap. 1.): „Er ist weder Gegenstand der Sinne noch der Einbildungskraft, noch der Mutmaßung, noch der Vernunft, noch der Wissenschaft.“ Die Vernunft scheint ebenfalls gegen die behauptete Möglichkeit zu sprechen; denn: II. Alles Unendliche, insoweit es unendlich ist, ist unbekannt. Gott aber ist seinem Wesen nach unendlich. Also ist Er nach seinem innersten Wesen unbekannt. III.Die geschaffene Vernunft hat zum Erkenntnisgegenstande nur das, was wirklich irgendwie existiert. Denn das erste, was von der Vernunft aufgefaßt wird, ist das wirkliche Sein. Gott aber ist nicht existierend, sondern über alles, was existiert, wie Dionysius sagt (de div. nom. cap. I. et 2.). Also ist auch Gott über alle Vernunft. IV. Es muß die Erkenntniskraft jedenfalls in einem gewissen Verhältnisse stehen zum Erkenntnisgegenstande; da letzterer die Vollendung der Erkenntniskraft ist. Zwischen Gott und der geschaffenen Vernunft aber besteht kein solches Verhältnis; denn die Entfernung zwischen beiden ist eine unendliche. Also ist ein Schauen des göttlichen Wesens für die geschaffene Vernunft unmöglich. Auf der anderen Seite heißt es bei Joh. 3, 2.: „Wir werden Ihn sehen, wie Er ist.“
b) Ich antworte. Jegliches Sein ist in dem Grade erkennbar als es thatsächlich besteht. Gott aber ist die reinste Thatsächlichkeit ohne die mindeste Beimischung irgend welchen Vermögens, um etwas zu werden. Also ist Er, soweit es Ihn anbetrifft, im denkbar höchsten Grade erkennbar. Nun tritt aber der Umstand hinzu, daß ein Sein, welches an sich betrachtet im höchsten Grade Erkennbarkeit hat, für manche Vernunft nicht erkennbar ist auf Grund des Überflusses an Erkennbarkeit im Verhältnisse zur erkennende Kraft der Vernunft; wie z. B. die Sonne im höchsten Grade sichtbar ist, von den Nachtvögeln aber nicht gesehen werden kann wegen des Überflusses an Licht, den die Sonne im Verhältnisse zu dieser Art Augen hat. Das verführte manche zu der Annahme, es könne überhaupt keine geschöpfliche Vernunft Gott kraft seines Wesens sehen. Dies aber ist irrtümlich und mit der natürlichen Neigung des Menschen nicht verträglich. Denn da die Seligkeit des Menschen in der höchsten Thätigkeit desselben besteht, welche die Thätigkeit der Vernunft ist; so würde, wenn diese Vernunft niemals Gottes Wesen schauen könnte, sie entweder niemals die Seligkeit erlangen oder diese Seligkeit würde in etwas anderem gefunden werden wie in Gott. Das ist aber gegen den Glauben. Denn in Gott besteht die letzte Vollenbung der vernünftigen Kreatur, wie auch Gott für sie das Princip des Seins ist. Insoweit nämlich ist etwas vollendet, inwieweit es an sein Princip hinanreicht. Eben dieselbe Behauptung ist gegen die Vernunft. Denn es wohnt dem Menschen das natürliche Verlangen inne, die Ursache zu erkennen, nachdem man die Wirkung erkannt hat; und aus diesem Verlangen entsteht im Menschen das Staunen und die Bewunderung. Dieses natürliche Verlangen würde aber eitel sein, wenn die vernünftige Kreatur in ihrer Erkenntnis an die erste Ursache der Dinge, an das Wesen und damit an den Willen Gottes nicht heranreichte. Also muß man ohne weiteres zugeben, daß die Seligen das Wesen Gottes schauen. Die Einwürfe verkennen zum Teil den Sinn der gestellten Frage zum Teil enthalten sie Zweideutigkeiten. I. Die heilige Schrift und die dafür citierten Väter sprechen vom Begreifen Gottes, nicht vom Schauen des göttlichen Wesens. Das erstere, nämlich das Wesen Gottes in der gleichen Weise zu sehen, wie Gott sich selber in durchaus und voll erschöpfender Weise sieht, ist für jede Kreatur unmöglich. Deshalb sagt Dionysius kurz vorher: „Für alle insgesamt ist Gott unbegreifbar und Er ist nicht Gegenstand der Sinne“ etc. Chrysostomus aber sagt gleich nach der angeführten Stelle: „Er (Johannes) nennt hier „Schauen“ die über alle Gewißheit erhabene Wissenschaft vom Vater und ein solches „Begreifen“, wie es der Vater (erste Person in Gott) hat vom Sohne.“ Der Unterschied ist klar. Ich kann wissen, was der Mensch seiner Natur nach sei und doch nicht voll begreifen, was alles in der Macht dieser Natur liegt oder was mit ihr alles geschehen kann. Das erstere ist mit Rücksicht auf Gott das Schauen seines Wesens; und dieses haben die Seligen. Das zweite ist das Begreifen; und dieses ist nur Gott eigen. II. Der zweite Einwurf verwechselt die zweifache Art des Unendlichen. Das „ohne Ende“, das Unvollkommene und Unfertige, was auf seiten des Stoffes steht, insoweit dieser durch die Form noch nicht bethätigt ist, sondern der Vollendung harrt; — dieses „Unendliche“ ist seiner Natur nach ungekannt; denn alle Kenntnis geschieht vermittelst einer bestimmten Form. Gott aber ist unendlich, weil Er als im höchsten Grade vollendet die bestimmende Wesensform in Sich selber ist. Ill. Von Gott wird ausgesagt, Er sei nicht existierend; nicht als ob Er auf keine Weise Sein hätte, sondern weil Er über alles Sein erhaben ist, insoweit Er sein eigenes Sein ist. Daraus also folgt nicht, daß Er auf keine Weise erkennbar ist; sondern daß Er über alle Kenntnis hervorragt; und das ist nichts anderes, als daß Er nicht begriffen werden kann. IV. Ein Verhältnis wird in doppelter Weise aufgefaßt: Einmal insoweit eine gewisse wechselseitige Beziehung besteht zwischen der einen Quantität und der anderen; und so sind das „doppelte“, „dreifache“, „gleiche“ Glieder oder untergeordnete Gattungen der Proportion. Dann aber wird jegliche wie auch immer beschaffene Beziehung des einen auf das andere auch unter den Namen „Verhältnis“ oder Proportion gebracht. Nach dieser letzten Art der Auffassung steht auch die Kreatur in einem Verhältnisse zu Gott: nämlich wie die Wirkung zur Ursache, wie das Vermögen zur bethätigenden Kraft. Und danach steht auch die geschaffene Vernunft zu Gott in einem gewissen Verhältnisse.