Zweiter Artikel. Der Same kommt vom Überflusse in der Nahrung.
a) Dagegen scheint sich zu richten: I. Damascenus (1. de orth. fide 8.), der da sagt: „Die Zeugung ist ein Werk der Natur, vermittelst dessen aus der Substanz des Erzeugenden hervorgebracht wird das, was erzeugt wird.“ Was aber erzeugt wird kommt vom Samen. Also kommt der Same von der Substanz des Erzeugenden und nicht von der Nahrung. II. Der Sohn wird insoweit ähnlich dem Vater als er von ihm etwas empfängt. Rührt der Same aber, aus welchem ein Wesen erzeugt wird, vom Überflusse der Speise her, so würde der Erzeugte nichts empfangen vom Großvater und Urgroßvater u. s. w., in denen diese Nahrung in keiner Weise gewesen ist. Also würde niemand dem Großvater und den weiteren Vorfahren in ausgeprägterer Weise ähnlich sein wie den anderen Menschen. III. Mit Rind- und Schweinefleisch nährt sich bisweilen der Mensch. Bei der gemachten Annahme also würde der Mensch mit Rindern und Schweinen mehr Verwandtschaft haben wie mit dem Vater und den Blutsverwandten. IV. Augustin sagt (10. sup. Gen. ad litt. 20.): „Wir sind in Adam gewesen nicht allein gemäß der wirkenden Kraft des Samens, sondern auch gemäß der körperlichen Substanz.“ Das aber wäre in keiner Weise der Fall, wenn der Same aus dem Überflusse in der Nahrung käme. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (1. de Gen. cap. 19.): „Same ist überflüssige Nahrung.“
b) Ich antworte: Wenn der menschlichen Natur die Kraft innewohnt, die ihr eigene Wesensform mitzuteilen; nicht nur also, daß diese in einem andern sich finde, sondern daß auch, was in sie selber eintritt, ihr Gepräge trage und somit in Wirklichkeit etwas Menschliches sei; so ist es offenbar, daß die Nahrung, welche zuerst der menschlichen Substanz unähnlich war, am Ende vermöge der menschlichen Form, die ihr mitgeteilt worden, durchaus der menschlichen Substanz ähnlich wird. Nun ist es aber die natürliche Ordnung, daß etwas nach und nach vom Vermögen, in welchem es war, zu etwas Thalsächlichem werde. Und deshalb finden wir in allen Dingen, die erzeugt werden, daß zuerst ein jedes unvollkommen ist und nachher vollendet wird. Was aber mehreren gemeinsam ist, das verhält sich zu dem, was jedem Dinge von vornherein in bestimmter Weise eigen ist und was es von anderen unterscheidet, wie Unvollkommenes, noch Bestimmbares, zum Vollendeten und Bestimmten. Und deshalb sehen wir, daß in der Zeugung des sinnbegabten Wesens zuerst das Sinnbegabte erzeugt wird und dann erst der Mensch oder das Pferd. So nun geht es auch mit der Nahrung. Zuerst empfängt sie gewissermaßen eine mehr gemeinsame Kraft, die nämlich vermögend ist, jeder beliebige Teil des Körpers zu werden; und am Ende wird diese Kraft bestimmt für diesen oder jenen Teil. Es kann aber als Same nicht betrachtet werden, was bereits vermittelst einer gewissen Zersetzung in die Substanz eines bestimmten Gliedes verwandelt ist. Denn wenn es nicht die Natur dessen behielte, von dem es zersetzt wird, so würde es damit selber bereits sich schon von der Natur des Zeugenden entfernen wie etwas, was auf dem Wege zum Vergehen ist; und so würde es nicht die Kraft haben, etwas Anderes in eine ähnliche Natur zu verwandeln. Behält es aber die Natur jenes Gliedes oder Organs, von dem aus es als anfangs unähnliche Nahrung zersetzt und so ihm ähnlich geworden ist; dann ist es eben bereits durchaus beschränkt auf dieses Glied oder Organ. Es ist in diesem Falle nichts Anderes als dieses Glied oder Organ; und hat somit auch nicht die Kraft, zur Natur des Ganzen hin zu bestimmen oder hinzuwirken, sondern bloß zur Natur des Teiles hin. Es müßte denn jemand meinen, die betreffende Nahrung sei zersetzt und aufgelöst worden von allen Teilen des Körpers; habe und behalte somit die Natur aller Teile. Danach wäre somit der Same wie ein selbständig bestehendes, kleines, sinnbegabtes Wesen; und die Zeugung geschähe einfach durch Teilung, nämlich durch die Ausscheidung solcher kleinen Wesen vom ähnlichen größeren; wie man etwa Lehm von Lehm trennt und so ein weiteres einzelnes Stück Lehm erzeugt oder wie es bei Tieren geschieht, die man zerschneidet und wo dann jeder einzelne Teil wieder ein Tier ist. Das aber ist völlig unzulässig. So also bleibt nur übrig zu sagen, der Same sei kein abgerissener Teil dessen, was bereits thatsächlich ein Ganzes, ein gewisses Glied und bestimmtes Organ war; sondern von dem vielmehr ist er ein Teil, was vermögend ist für das Ganze, was nämlich die Kraft hat zur Hervorbringung des ganzen Körpers und zwar eine von der Seele des Zeugenden abgeleitete Kraft. Was aber in dieser Weise im Zustande des Vermögens ist für das Ganze, das ist jenes, was aus der Nahrung erzeugt wird, ehe denn sie in die Substanz eines der Glieder thatsächlich verwandelt wird; und deshalb wird daraus der Same genommen. Demgemäß also wird gesagt, die Nährkraft diene der Fortpflanzungskraft; denn das, was unter dem bestimmenden und verwandelnden Einflüsse der Nährkraft steht, nimmt die Fortpflanzungs- oder Zeugungskraft an als Samen. Deshalb sagt Aristoteles, ein Zeichen davon sei es, daß die Tiere von großem Körper, die da viel Nahrung bedürfen, im Vergleiche zu ihrer Körpermasse wenig Samen haben und wenig zeugen; — und ähnlich haben aus derselben Ursache fette Menschen weniger Samen.
c) I. Die Zeugung vollzieht sich in Pflanzen und Tieren von der Substanz des Zeugenden aus; insoweit der Same seine Kraft besitzt aus der Wesensform des Zeugenden und im Stande des Vermögens ist für die Substanz des Erzeugten. II. Die Ähnlichkeit des Zeugenden mit dem Erzeugten besteht nicht auf Grund des materiellen Stoffes; sondern auf Grund der Wesensform der wirkenden, zeugenden Ursache, die da etwas erzeugt, was ihr ähnlich ist. Damit also jemand seinem Großvater ähnlich sei, dazu ist nicht erfordert, daß der körperliche Stoff des Samens im Großvater gewesen sei; sondern daß im Samen eine Kraft sich finde, die vermittelst des Vaters vom Großvater sich ableitet. Dasselbe gilt von III. Die Verwandtschaft wird nicht bemessen nach Maßgabe des Stoffes, sondern nach der Ableitung der im Samen bestimmenden Kraft der betreffen den Form. IV. Das Wort Augustins ist nicht dahin zu verstehen, als ob in Adam dem thatsächlichen Sein nach gewesen wäre der unmittelbar wirkende Grund im Samen für jeden einzelnen Menschen oder gar aller körperliche Stoff des Samens. Beides war vielmehr in Adam gemäß dem Ursprünge. Denn sowohl leitet sich der körperliche bestimmbare Stoff im Samen, den Augustin „körperliche Substanz“ corpulenta suwtantia nennt, jener Stoff, den die Mutter giebt, ursprünglich von Adam ab, aus dessen fleischlicher Rippe das Weib gebildet worden; und ähnlich kommt von ihm als dem ursprünglichen Stammvater die thätig wirksame Kraft im Samen des Vaters, der da für den einzelnen Menschen den unmittelbaren Grund des Entstehens bildet. Christus aber war in Adam wohl dem körperlichen Stoffe nach; nicht jedoch gemäß der im Samen wirkenden Kraft. Denn der Stoff für seinen Körper, den die Jungfrau Maria geliehen, leitet sich von Adam ab. Die thätig wirksame Kraft aber leitet sich nicht von Adam ab. Denn sein Körper ist nicht gebildet durch die wirkende Kraft männlichen Samens, sondern durch das Einwirken des heiligen Geistes. Eine derartige Geburt nämlich geziemte sich Jenem, der da über Alles geprieseü ist Gott in die Ewigkeit der Ewigkeiten. Amen.
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