Achter Artikel. In keinem geschaffenen Gute besteht die Seligkeit des Menschen.
a) Dagegen spricht: I. Dionysius (4. de div. nom.): „Die göttliche Weisheit verbindet die Endpunkte der Kreaturen auf der niedrigeren Rangstufe mit den Anfängen oder Principien der Kreaturen auf der höheren Rangstufe.“ Daraus kann entnommen werden, daß der höchste Standpunkt der niedrigeren Natur es sei, zu erreichen das Niedrigste der höheren Natur. Das Höchste aber für den Menschen ist die Seligkeit. Da nun also der Engel kraft der Abstufung der Natur über dem Menschen steht, so scheint es, die Seligkeit desMenschen bestehe darin, daß er irgendwie die Vollkommenheit des Engels erreicht. II. Der letzte Endzweck jeden Dinges ist in dem, was ihm als Vollendung eigen ist; so daß der Teil existiert um des Ganzen willen und letzterem als seinem Zwecke dient. Die ganze Gesamtheit der Kreaturen aber, welche als die Welt im Großen bezeichnet wird, steht in Beziehung zum Menschen,der (8 Physic.) als die Welt im kleinen sich darstellt, wie das Vollendete zum Unvollendeten. Also besteht der letzte Endzweck des Menschen in der Gesamtheit der Kreaturen. III. Der Mensch ist selig durch jenes Gut, in welchem sein Verlangen Ruhe findet. Das Verlangen des Menschen aber erstreckt sich nicht auf ein größeres Gut, wie er selbst fassen kann. Da also der Mensch nicht fähig ist, ein Gut zu erfassen, welches die Grenzen aller Kreaturen übersteigt, so scheint es, daß der Mensch vermittelst eines geschaffenen Gutes selig werden kann. Auf der anderen Seite sagt Augustin (19. de Civ. Dei 26.): „Wie das Leben des Fleisches die Seele ist, so ist das selige Leben des Menschen Gott;“ von dem der Psalm (143.) sagt: „Selig das Volk, dessen Herr sein Gott ist.“
b) Ich antworte, unmöglich könne die Seligkeit des Menschen in einem geschaffenen Gute bestehen. Die Seligkeit nämlich ist das vollendete Gut, von dem das Begehren ganz und gar befriedigt wird; sonst wäre sie nicht der letzte Endzweck, wenn etwas zu begehren übrig bliebe. Der Gegenstand des menschlichen Begehrens aber, also des Willens, ist das Gute im allgemeinen, d. h. alles Gute; wie der Gegenstand der menschlichen Vernunft das Wahre im allgemeinen, alles Wahre ist. Wo also, wie dies in jeder Kreatur der Fall ist, nur ein beschränktes Gut sich findet, da kann nicht die Seligkeit des Menschen sein. Nur in Gott ist alles Gute, die Kreatur nimmt nur teil am Guten. Also nur Gott kann anfüllen den Willen des Menschen, nach Ps. 102.: „Der mit Gütern anfüllt dein Verlangen.“ Nur also in Gott besteht die Seligkeit des Menschen.
c) I. Gemäß einer gewissen Ähnlichkeit berührt wohl das Höchste im Menschen das Niedrigste in der Engelnatur; aber nicht so, daß es darin im letzten Endzwecke ausruhte. Vielmehr dringt das Höchste im Menschen vor bis zur allgemeinen Quelle des Guten. Da ist der allbefriedigende Gegenstand der Seligkeit für alle Seligen, nämlich das unendlich vollkommene Gut. II. Wo das Ganze selber noch zu einem weiteren Endzwecke Beziehung hat, da ist der letzte Endzweck des einzelnen Teiles nicht das Ganze; sondern dieser weitere Zweck des Ganzen. Die Gesamtheit der Kreaturen aber, worin der Mensch wie ein Teil im Ganzen ist, steht nicht als letzter Endzweck da; sondern hat Beziehung zu Gott als dem letzten Zwecke. Also ist nicht das Gesamtbeste des All der letzte Zweck des Menschen; sondern Gott. III. Das geschaffene Gut steht zwar nicht niedriger wie das Gut, das der Mensch als etwas ihm Innewohnendes und Innerliches fassen kann; — es ist aber ein minderes wie das, welches der Mensch fassen kann als Gegenstand; es ist nämlich minder wie das unendlich vollkommeneGut. Das Gut aber, was sowohl dem Engel innewohnt wie dem ganzen All, ist ein begrenztes und beschränktes Gut. Da also der Mensch fähig ist,unendliches Gut als Gegenstand zu erfassen und zu genießen, so kann der Gegenstand, worin er seine Seligkeit findet, weder ein Engel noch das All sein.
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