Vierter Artikel. Kraft der natürlichen Fähigkeit kann keine geschaffene Vernunft das Wesen Gottes schauen.
a) Gegen diesen Satz scheint sich Dionysius zu erklären, der da sagt: I. „Der Engel ist ein klarer, hellstrahlender Spiegel, der in sich aufnimmt, wenn so gesagt werden darf, die ganze Schönheit Gottes.“ Jegliches Sein wird aber geschaut, wenn sein Spiegel geschaut wird. Da also der Enge! durch die Kraft seiner Natur sein eigenes Wesen, sich selber, zum Gegenstande der Erkenntnis hat, so erkennt Er auch kraft seiner Natur das Wesen Gottes. II. Was an sich auf der höchsten Stufe der Erkennbarkeit steht, das wird nur aus dem Grunde für uns weniger erkennbar, weil das Vernunftvermögen oder die leibliche Sehkraft in uns vielfache Schwächen hat. Diese Schwächen besitzt aber nicht die Vernunft des Engels. Da Gott an sich im höchsten Grade erkennbar ist, so ist Er auch von der Vernunft des Engels am leichtesten und am ersten zu erreichen. Kann somit der Engel kraft seiner natürlichen Kräfte Anderes verstehen, was an sich weniger erkennbar ist, so folgt mit Notwendigkeit, daß er auch das, was an sich mehr erkennbar ist, nämlich die Natur Gottes als reine Erkennbarkeit versteht. III. Der leibliche Sinn kann nicht soweit erhoben werden, daß er Unkörperliches erkenne; weil dies über seine Natur hinaus wäre. Wenn es also über die Natur der geschöpflichen Vernunft wäre, Gottes Wesen zu schauen, so könnte überhaupt keine geschöpfliche Vernunft, wie hoch auch immer erhoben, zur Anschauung Gottes gelangen. Das ist aber, wie nachgewiesen, ein Irrtum. Also ist den natürlichen Kräften der Vernunft es entsprechend, die göttliche Natur zu sehen. Auf der anderen Seite heißt es Röm. 6, 12.: „Gnade Gottes ist das ewige Leben.“ Das ewige Leben aber ist präcis die Anschauung Gottes nach jenen Worten (Jos. 17, 3.): „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich erkennen, den alleinigen Gott“ etc. Gott schauen also kommt der geschöpflichen Vernunft zu kraft der Gnade und nicht kraft ihrer Natur.
b) Ich antworte; es ist unmöglich, daß irgend eine geschöpfliche Vernunft auf Grund ihrer natürlichen Kraft Gottes Wesen schaue. Denn die Kenntnis richtet sich im allgemeinen danach, wie der erkannte Gegenstand innerhalb des Erkennenden ist. Ganz selbstverständlich aber ist der erkannte Gegenstand in der Erkenntniskraft gemäß dem natüllichen Seinszustande des Erkennenden; wie der Lichtstrahl etwa im grünen Glase grün ist. Wie also die Art und Weise des Bestandes eines Seins, so ist auch die Art und Weise des Erkennens. Wenn deshalb die Art und Weise des Seinszustandes eines Dinges die Art und Weise der Natur des Erkennenden überragt, so muß die Kenntnis, deren Gegenstand jene Sache ist, auch überragen die Natur des Erkennenden. Vielfältig aber ist die Art und Weise des Seins der Dinge. Denn es giebt Seinsarten, deren Wesen oder Natur Sein hat nur unter den Einzelverhältnissen des Stoffes; wie die Natur oder das Wesen des Steines nur Sein haben kann unter den Schranken von Zeit und Raum. Und dazu gehören alle rein stofflichen Dinge. Andere Seinsarten aber giebt es wieder, deren Wesen oder Natur wohl nicht irgendwelchen Stoffes bedarf, um für sich zu bestehen, also um Sein zu besitzen, die aber darum noch nicht ihr eigenes Sein sind, sondern nur Sein empfangen haben. Dazu gehören alle körperlosen Substanzen, welche wir mit dem Ausdrucke „reine Geister“ bezeichnen. Gott allein gehört es zu und dies ist seine Ihm eigenste Art und Weise des Seins, daß er sein eigenes für sich bestehendes Sein ist. Nach dieser dreifachen Abstufung der Art und Weise des Seinszustandes in den Dingen bestimmt sich die Art und Weise des Erkennens. Unserer Vernunft ist es eigen, Vermögen einer Wesensform, der Seele nämlich, zu sein, welche, kraft der Natur an den Stoff gebunden, zugleich Wesensform im Stoffe ist, und sonach mit demselben, mit dem Körper, ein einheitliches Sein trägt. Also ist es ihr auch eigen und natürlich, solche Wesen unmittelbar zu erkennen, welche nur im Stoffe und, mit demselben zur Wesenseinheit verbunden, Sein haben. Und daher entspringt es, daß unsere Seele zwei Arten von Erkenntnisvermögen hat: eine, der es natürlich ist, die Dinge zu erkennen, insoweit sie im Stoffe sind; — das sind die Sinne, in deren inneres Wesen und dementsprechende Thätigkeit das stoffliche Organ eintritt; sie erkennen nur das Einzelne und zwar als Einzelnes, weil der Stoff wesentlich ihre eigenste Thätigkeit trägt und gerade vom Stoffe es kommt, daß etwas nicht allgemein, sondern einzeln, z. B. dieses Pferd und nicht jenes ist. Die andere Art unserer Erkenntnisvermögen ist die Vernunft, deren innerlich wesentliche Thätigkeit losgelöst ist vom Stoffe und in deren Natur kein stoffliches Organ eintritt. Somit ist kraft der Vernunft es uns natürlich, wohl gleichermaßen nur Naturen oder Wesenheiten zu erkennen, die wirkliches Einzelsein im Stoffe haben; jedoch nicht in der Weise wie die Sinne, nicht nämlich insoweit diese Naturen einzelnes Sein haben im Stoffe, sondern inwiefern sie losgelöst sind von den Einzelnbedingungen des Stoffes. Gemäß der Vernunft also können wir derartige Dinge nach der allgemeinen Seite hin erkennen in ihrer allgemeinen Gattungsnatur; was über die Fähigkeit der Sinne hinausgeht. Der Vernunft der reinen Geister aber ist es natürlich, die Naturen oder Wesenheiten zu erkennen, welche nicht im Stoffe ihr einzelnes wirkliches Sein haben. Und dies geht hinaus über die Fähigkeit der Vernunft gemäß dem Seinszustande, den diese in unserer Seele als der bildenden Wesensform des Körpers und somit als in natürlicher Einheit mit dem Stoffe befindlich, im irdischen Leben besitzt. Das Sein aber selber erkennen, insofern es an und für sich besteht, und nicht eine Natur hat, welche erst das Sein der wirklichen Existenz von außen her empfangen muß, um zu existieren, sondern insofern es seine eigene Natur aus sich heraus ist; dieses Sein zu erkennen, das kann als natürliche Kenntnis nur der göttlichen Vernunft allein zukommen und muß überragen alle andere natürliche Fähigkeit, etwas zu erkennen. Denn keine der geschaffenen Naturen ist ihr Sein; sondern eine jede hat nur kraft Mitteilung Sein empfangen. Also kann keine geschaffene Vernunft Gottes Wesen schauen, außer inwieweit Gott vermittelst seiner Gnade sich mit einer solchen Vernunft vereint und sich als Gegenstand des Erkennens ihr vorstellt.
c) I. Nach dem Gesagten ist das Wort des heiligen Dionysius wohl verständlich. Dem reinen Geiste ist es naturgemäß, Gott zu erkennen gemäß und kraft jener Ähnlichkeit mit ihm, welche im reinen Geiste selber wiederstrahlt. Gott aber erkennen kraft einer geschaffenen Form und Ähnlichkeit, das ist nicht dasselbe wie Gottes Wesen schauen, wie oben auseinandergesetzt worden. (Art. 2.) Also besteht keine Folgerung, der reine Geist erkenne kraft seiner natürlichen Fähigkeit die Natur Gottes. II. Die Vernunft des reinen Geistes ferner hat allerdings keine Mängel und Schwächen im privativen Sinne, indem ihr je etwas fehlte, was sie im Bereiche der Natur besitzen könnte oder müßte; in den Teufeln selber blieb ja der Vernunft an sich betrachtet ihre natürliche Schärfe. Aber sie hat Mängel und Schwächen im negativen Sinne, indem sie im Verhältnisse zu Gott nicht die Vorzüge besitzt, welche in diesem reinsten Sein sich vorfinden. III. Der Sinn ist durchaus stofflich; seine Thätigkeit selber als Vermögen ist durch das entsprechende Organ wesentlich bedingt. Seine Natur verbietet es positiv, daß er zur Kenntnis des Unstofflichen erhoben werde. Unsere Vernunft aber oder die des reinen Geistes ist gemäß ihrer Natur schon einigermaßen erhaben über den Stoff als das Princip des Einzelnen; und somit kann sie auch, ist die dazu erforderliche wirksame Kraft da, über ihre Natur zu noch höherem Stofflosen erhoben werden. Und von diesem Unterschiede sehen wir bereits ein Zeichen darin, daß der Sinn, was er Konkretes, also als dieses besondere Sein, als diesen einzelnen Menschen erkennt, nicht in einer vom Stoffe losgelösten Weise, nicht als Abstraktes, erkennen kann, nicht nämlich als allgemeine Natur. Die Vernunft aber kann vom Stoffe losgelöst als Allgemeines erkennen, was auch immer sie Konkretes auffaßt. Denn obgleich jene Dinge ihren Erkenntnisgegenstand bilden, welche ihre Wesensform im Stoffe und damit erst ein einzelnes wirkliches Sein haben, so löst sie doch das so aus Stoff und Form Zusammengesetzte in die Form und den Stoff auf und betrachtet die maßgebende innere Form für sich allein. Und ähnlich ist es der Fall mit der Vernunft des reinen Geistes. Denn obgleich es für ihn natürlich ist, das in einer Natur konkret bestehende wirkliche Sein zu erkennen, so kann er doch kraft der Vernunft das Sein selbst trennen; er kann erkennen, daß etwas anderes sein Sein ist und etwas anderes Er selber in seiner von den übrigen Dingen ihn unterscheidenden Natur. Da also die Vernunft des Geschöpfes durch ihre Natur geeignet ist, die an und für sich konkret in der Wirklichkeit existierende Form und ebenso das Sein für sich allein abstrakt in einer vom Einzeln-Wirklichen losgelösten Weise zu betrachten, so kann sie durch die Gnade erhoben werden, daß sie erkenne die für sich, durch sich und in sich allein subsistierende Substanz, welche von allem anderen Wesen getrennt ist, und das aus sich allein existierende, in sich bestehende Sein.
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