Vierter Artikel. Das Verhältnis des Genießens zum Besitze des Zweckes.
a) Es scheint, nur des Zweckes, den man bereits erreicht hat, könne man genießen. Denn: I. Augustin sagt (10. de Trin. 11.): „Genießen will sagen mit Freuden gebrauchen; und zwar die Sache selber, nicht bloß das Hoffen auf deren Besitz.“ Wird aber ein Wesen nicht besessen, so besteht keine Freude an diesem Wesen, sondern nur an der Hoffnung, es einst zu besitzen. Also ist da kein Genießen. II. Das Genießen hat zum Gegenstande nur den letzten Endzweck; denn dieser allein befriedigt das Begehren. Nur aber im Besitze desselben ist das Begehren ruhig. III. Genießen heißt die Frucht ergreifen. Also muß die Frucht, hier der Zweck, bereits besessen sein, ehe ein Genuß möglich ist. Auf der anderenSeite: „Genießen will sagen mit Liebe einem Wesen anhangen um dieses Wesens selber willen,“ so Augustin. (1. de doct. ch. 4.) Das kann aber bereits geschehen, ehe dieses Wesen besessen wird. Also man kann des letzten Endzweckes genießen, auch wenn man selbigen noch nicht besitzt.
b) Ich antworte; Genießen schließt ein gewisses Verhältnis ein zwischen dem Willen und dem letzten Endzwecke, je nachdem der Wille etwas als den letzten Endzweck festhält. Festhalten aber als letzten Endzweck kann derWille in zweifacher Weise: einmal vollkommen; wann der letzte Zweck nicht nur kraft der Absicht festgehalten wird, sondern auch in der Sache selber; — dann unvollkommen, wann er nur in der Absicht festgehalten wird. Danach berücksichtigt das vollkommene Genießen den besessenen Zweck; das unvollkommene die betreffende Absicht.
c) I. Augustin spricht vom vollkommenen Genießen. II. Das Ausruhen des Willens wird in doppelter Weise gehindert: einmal vom Gegenstande her, insofern derselbe nicht der letzte Endzweck ist, sondern zu etwas Anderem hingeordnet ist; dann vom verlangenden Willen her, insofern selbiger den Zweck noch nicht besitzt. Der Gegenstand nun verleiht dem Wirken seine bestimmte Gattung und Gestalt; vom Thätigseienden aber hängt ab die Art und Weise des Wirkens, ob sie nämlich je nach der Verfassung des Thätigseienden eine vollkommene sei oder eine unvollkommene. Und deshalb geht auf das, was nicht letzter Endzweck ist, das Genießen nur im uneigentlichen Sinne, es entfernt sich nämlich von jener Gattung des Wirkens, welche man „Genießen“ nennt. Auf den wahren letzten Zweck aber geht das eigentliche Genießen, auch wenn dieser Zweck nicht besessen wird; nur ist es dann in unvollkommener Weise von seiten des Wollenden auf den letzten Zweck gerichtet, weil der letzte Zweck dann in unvollkommener Weise festgehalten wird, nämlich in der Absicht nur. III. Der Zweck kann auch ergriffen und festgehalten werden vermittelst der Absicht.
