Erster Artikel. Der Ratschlag ist Nachforschung.
a) Dementgegen scheint zu sein: I. Der Ausspruch des Damascenus (2. orth. fide 22.): „Der Ratschlag ist ein Begehren.“ Das Begehren aber begreift nicht in sich das Nachforschen. Also ist Beratschlagen kein Nachforschen. II. Der Ratschlag wird Gott zugeschrieben, wie es Ephes. 1. heißt: „Der da Alles wirkt nach dem Ratschlage seines Willens.“ Das Nachforschen oder Untersuchen aber ist eigen der Vernunft, insoweit diese vom einen auf das andere schließt, was Gott nicht zukommt, wie I. Kap. 14, Art. 7 festgestellt worden. Also ist der Ratschlag kein Untersuchen. III. Man untersucht, wenn es sich um zweifelhafte Dinge handelt. Man rät an, wenn man Gewißheit hat, wie der Apostel sagt (1. Kor. 7.): „Betreffs der Jungfrauen habe ich keine Vorschrift vom Herrn; ich gebe aber einen Rat.“ Also ein Ratschlag ist kein Nachforschen oder Untersuchen. Auf der anderen Seite sagt Gregor von Nyssa (de nat. hom. 34.): „Alles Beraten ist ein Untersuchen; aber nicht alles Untersuchen ist ein Beraten.“
b) Ich antworte, daß die Auswahl, wie eben beschrieben, dem Urteile folgt, welches die Vernunft über das zu Bethätigende fällt. In den Dingen aber, die der Mensch wirkt, ist viele Ungewißheit; denn derartiges Wirken richtet sich immer auf einzelne Verhältnisse und Einzeldinge, die auf Grund ihrer Wandelbarkeit ungewiß sind. In zweifelhaften und ungewissen Dingen aber spricht die Vernunft kein Urteil aus ohne vorhergehende Untersuchung oder Nachforschung; und deshalb ist die Nachforschung der Vernunft vor dem Urteile über das zu Erwählende notwendig. Und dieses Nachforschen nennt man Ratschlag oder Beratschlagen; weshalb Aristoteles (3 Ethic. 3.) sagt: „Die Auswahl ist das Begehren nach dem, was vorher beraten worden ist.“
c) I. So oft die Thätigkeiten zweier Vermögen zu einander Beziehung haben, ist in einer jeden dieser Thätigkeiten enthalten etwas von dem anderen Vermögen; und sonach können beiderlei Thätigkeiten von einem jeden der beiden Vermögen her benannt werden. Nun ist aber offenbar, daß die Thätigkeit der Vernunft, die da leitet im Bereiche des Zweckdienlichen, und die Thätigkeit des Willens, der gemäß der von der Vernunft ausgehenden Leitungnach dem Zweckdienlichen hinstrebt, aufeinander bezogen werden. Somit erscheint sowohl in der Thätigkeit des Willens, im Wählen, etwas von der Vernunft, nämlich die Ordnung; als auch erscheint in der Thätigkeit der Vernunft, im Ratschlage, etwas vom Willen wie als ob dies der bestimmbare Stoff, die Materie wäre, 1. weil nämlich der Mensch darüber beratschlagt, was er thun will; und 2. weil der Mensch daraus daß er den Zweck will, sich dazu bestimmt, zu beratschlagen rücksichtlich dessen, was zum Zwecke führt. Und deshalb nennt Aristoteles (6 Ethic. 2.) die Auswahl „den begehrenden Verstand“, damit er ausdrücke, beides, Vernunft und Wille, trage bei zum Auswählen; und Damascenus nennt den Ratschlag „das forschende Verlangen“; damit er ausdrücke, wie der Ratschlag angehöre der Vernunft, die da nachforscht; und dem Willen ebenfalls in einer gewissen Weise, weil dessen Bestimmung zufolge die Nachforschung geschieht und weil sie sich mit dem beschäftigt, was der Wille will. II. Von Gott muß alles Mangelhafte fern gehalten werden. So ist bei uns Wissenschaft nichts Anderes als: die vermittelst des Schließens von der Ursache auf die Wirkung entstandene zuverlässige Kenntnis des als Schluß sich Ergebenden. In Gott aber bezeichnet Wissen einzig und allein die Zuverlässigkeit der Kenntnis aller Wirkungen, die von der ersten Ursache ausgehen, ohne irgend ein Schließen vom einen zum anderen. Und ebenso wird Gott zugeschrieben der Ratschlag als das zuverlässige Ergebnis. Aber das Untersuchen, aus welchem bei uns der Ratschlag hervorgeht, wird Gott nicht zugeschrieben, weil dies ein Mangel wäre. Demgemäß sagt Damascenus (2. de orth. fide 22.): „Gott berät sich nicht; dem allein, der in Unkenntnis über etwas ist, steht es zu, sich zu beraten.“ III. Nichts steht dem entgegen, daß manche Güter äußerst zuverlässige und zweifellose sind nach dem Urteile der Weisen und geistiger Männer; die aber nicht so zweifellose Güter sind in der Meinung der Mehrheit oder fleischlich gesinnter Menschen. Über derartige also wird Rat erteilt.
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