6.
Man muß jedoch aus solchen Gnaden von neuem Kräfte sammeln, Gott zu dienen, und sich befleißen, nicht undankbar zu sein; denn unter dieser Bedingung schenkt sie uns der Herr. Machen wir aber keinen guten Gebrauch von diesem Schatze und dem hohen Stande, in den uns Gott versetzt, so wird er uns alles wieder nehmen, und wir werden dann viel ärmer sein als zuvor. Seine Majestät wird alsdann diese Kleinodien einer anderen Seele geben, die sie an sich erglänzen lassen und zu ihrem und anderer Nutzen gebrauchen wird. Wie soll aber der, der seinen Reichtum nicht erkennt, für sich selbst einen Gewinn daraus ziehen oder anderen freigebig davon mitteilen? Nach meinem Dafürhalten ist es bei der Beschaffenheit unserer Natur unmöglich, mutig große Dinge zu unternehmen, wenn man nicht erkennt, daß man bei Gott in Gnaden steht. Wir sind so elend und so sehr zu den Dingen dieser Erde geneigt, daß jemand nicht wohl alles Irdische in der Tat wird verachten und sich vollkommen davon losschälen können, wenn er nicht erkennt, daß er ein Unterpfand vom Himmlischen besitzt, womit uns der Herr zugleich die durch unsere Sünden verlorene Kraft wieder verleiht. So wird auch jemand wenig darnach verlangen, allen zu mißfallen und von allen verabscheut zu werden, noch sich viel um die Übung aller sonstigen großen Tugenden kümmern, die vollkommenen Seelen eigen sind, wenn er nicht selbst einem lebendigen Glauben auch noch ein Unterpfand der Liebe bat, die Gott zu ihm trägt. Denn unsere Natur ist so abgestumpft, daß wir gern nur dem nachgehen, was wir vor uns gegenwärtig sehen. Darum sind es gerade die Gnadengaben, die den Glauben in uns erwecken und stärken.