9.
Es gibt noch eine andere Versuchung, die gleich allen übrigen unter dem Scheine von Tugendeifer auftaucht, was man, um sich davor in acht zu nehmen, wissen muß. Ich meine den Schmerz über die Sünden und die Fehler, die man an anderen wahrnimmt. Der böse Feind gibt nämlich den Anfängern ein, dieser Schmerz komme nur aus dem Verlangen, daß Gott nicht beleidigt werde, und er sei nichts anderes als Trauer um seiner verletzten Ehre willen; und sogleich möchten sie einem solchen Übel abhelfen. Dabei geraten sie aber in eine so große Unruhe, daß sie im Gebete gestört werden. Den größten Schaden jedoch erleiden sie dadurch, daß sie meinen, es sei dies Tugend, Vollkommenheit und großer Eifer für Gott. Ich rede hier nicht von jenem Schmerze, den öffentliche Sünden, die etwa in einer Gemeinde Gewohnheit sind, oder die Drangsale der Kirche durch die jetzigen Irrlehren verursachen, wodurch wir so viele Seelen verlorengehen sehen. Ein solcher Schmerz ist vielmehr ganz gut; und weil er gut ist, bringt er auch keine Unruhe mit sich. Im übrigen aber wird für eine Seele, die das innerliche Gebet üben will, dies das sicherste sein, daß sie unbekümmert um alte Dinge und um alle Menschen bloß auf sich selbst und auf das Wohlgefallen Gottes bedacht ist. Dies ist eine Sache von sehr großer Wichtigkeit; denn wenn ich die Fehler alle aufzählen wollte, die ich begehen sah, weil man sich auf seine gute Absicht verließ, so käme ich an kein Ende.