145. Brief — An Pater Hieronymus Gracián in Sevilla
Toledo, im November 1576
Verleumdung des Paters Gracián. Einige Ratschläge.
…Die Nachricht von den Verleumdungen, die gegen Euere Paternität geschleudert wurden, hat mich in Wahrheit sehr betrübt; zugleich aber war ich sehr gerührt, als ich erfuhr, wie vorsichtig Sie zu Werke gegangen sind. Ich versichere Sie, mein Vater, daß Gott Sie sehr liebt und daß Sie sein Beispiel gut befolgen. Freuen Sie sich also; denn Gott gibt Ihnen immer, um was Sie ihn bitten, nämlich Leiden. Er, der Gerechte, wird sich Ihrer annehmen. Er sei gepriesen immerdar!
Was jenes Fräulein oder jene Frau betrifft, so habe ich die feste Überzeugung, daß sie nicht so sehr unter dem Einflusse der Melancholie als vielmehr unter dem des Teufels handelt, der sie zu solchen Lügen verleitet. Etwas anderes ist es nicht. Nachdem er sie selbst schon betrogen, möchte er auch, wenn er könnte, Euere Paternität in eine Falle locken. Darum ist hier große Vorsicht notwendig, und Euere Paternität dürfen in keiner Weise ihr Haus betreten. Es darf Ihnen nicht ergehen, wie es der heiligen Marina, wenn ich nicht irre, ergangen ist, von der man sagte, sie sei die Mutter eines gewissen Kindes, und die deshalb vieles zu leiden hatte. Jetzt ist nicht die rechte Zeit für Euere Paternität, um eine solche Prüfung auf sich nehmen zu können. Soweit meine dürftige Einsicht reicht, sollten Sie sich von dieser Angelegenheit ganz lossagen. Es gibt andere, die sich mit dem Heile dieser Seele befassen können; Euere Paternität haben die Aufgabe, der großen Menge nützlich zu sein.
Beachten Sie, mein Vater, daß, wenn diese Person Ihnen den fraglichen Brief nicht als Beichtsache oder in der Beichte gegeben hat, diese Angelegenheit vor das Inquisitionsgericht gehört. Der Teufel ist voller Ränke. Nach dem, was ich habe sagen hören, ist jemand schon aus dem gleichen Grunde im Inquisitionsgefängnis gestorben. Ich glaube nun nicht, daß diese [von der ich spreche] den Brief dem Teufel übergeben hat, der ihn ihr nicht so bald wieder zurückgeben würde. Auch kann ich dem keinen Glauben schenken, was sie behauptet; denn sie ist sicherlich, Gott verzeihe es mir, eine Betrügerin, die nur daran Gefallen findet, mit Euerer Hochwürden zu verkehren. Vielleicht ist sie selbst die Urheberin dieser Verleumdung, wer weiß es? Immerhin wünschte ich, daß Sie anderswo wären, um diesem ganzen Gerede ein Ende zu machen.
Aber wie bin ich doch so boshaft! Das alles ist notwendig in diesem Leben. Denken Euere Paternität nicht daran, diese Angelegenheit in vier Monaten mehr oder weniger abzustellen. Bedenken Sie, welch eine gefährliche Sache dies ist! Es wird dort andere geben, die sich darum annehmen. Wenn etwas, wovon Sie außer der Beichte Kenntnis erlangt haben, von dieser Person zur Anzeige zu bringen ist, so seien Sie vorsichtig; denn ich fürchte, es werde sich die Sache noch mehr verbreiten und die ganze Schuld auf Euere Paternität fallen; man wird sagen, Sie hätten davon gewußt und dazu geschwiegen. Doch wie töricht bin ich! Denn Euere Paternität wissen dies ja selbst gar wohl…