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Werke Theresia von Jesu (1515-1582) Weg der Vollkommenheit
Sechsunddreißigstes Hauptstück

9.

Beachtet wohl, meine Schwestern, daß unser göttlicher Meister, wie schon gesagt, mit den Worten: »Wie wir vergeben« etwas bezeichnet was bereits geschehen ist! Merkt euch besonders, was ich hier noch sagen will! Wenn eine Seele im Gebete wirklich von Gott die Gnaden empfängt, die er in der schon erwähnten Beschauung zu erteilen pflegt, so wird sie darnach fest entschlossen sein, jedes auch noch so schwere, ihr widerfahrene Unrecht zu verzeihen und diesen ihren Entschluß bei gegebener Gelegenheit auch auszuführen. Ist es nicht der Fall, (dann halte sie von ihrem Gebete nicht viel)! Ich rede hier nicht von bloßen Kleinigkeiten, die man Beleidigungen nennt; denn diese berühren eine Seele, die Gott zu einem so erhabenen Gebete erhebt, gar nicht. Einer solchen Seele ist es gleichgültig, ob man sie achtet oder nicht; oder, besser gesagt, es ist ihr eine größere Pein, wenn sie geehrt, als wenn sie verachtet wird, und Leiden freuen sie mehr als die Ruhe. Denn eine Seele, der der Herr in Wahrheit sein Reich hienieden verliehen hat, will kein anderes in dieser Welt. Dies erkennt sie als den wahren Weg, der sie zur höchsten Herrschaft führt, und aus der Erfahrung weiß sie schon, wieviel sie gewinnt und wie weit sie voranschreitet, wenn sie um Gottes willen leidet. Wunderselten aber verleiht Gott jene großen Gnadengeschenke einer Seele, die nicht schon große Leiden gerne für ihn erduldet hat; denn die Leiden der Beschaulichen sind, wie ich schon anderswo in diesem Buche gesagt habe, groß, und darum wählt der Herr erprobte Seelen dazu aus.

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