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So war das Leben der ersten Menschen, die anfangs in Unschuld und Einfalt lebten, später aber die Sünde der Tugend vorzogen. In dem hier besprochenen Bericht über die Weltschöpfung gibt uns Moses mancherlei Lehren, die besten und schönsten von allen sind aber folgende fünf: die erste, dass Gott existiert und waltet, gibt er uns wegen der Gottlosen, die teils über sein Dasein Zweifel hegen und hin und her schwanken (Philo zählt hier die Skeptiker zu den Atheisten.), teils mit grosser Keckheit sich erdreisten zu behaupten, dass er überhaupt nicht existiere und dass das nur von Menschen behauptet werde, die die Wahrheit durch mythische Gebilde verdunkeln. Die zweite, dass Gott einzig ist, wegen der Vertreter der Vielgötterei, die so schamlos sind, die schlechteste der schlechten Staatsverfassungen, die Massenherrschaft, von der Erde in den Himmel zu verpflanzen. Die dritte, dass die Welt, wie gesagt, geschaffen ist, mit Rücksicht auf diejenigen, die da meinen, dass die Welt unerschaffen und ewig ist, und Gott gar nichts zuschreiben. Die vierte Lehre ist, dass auch die Welt einzig ist, weil der Schöpfer einzig ist, der durch die Einzigkeit sein Schöpfungswerk sich selbst gleich machte und den ganzen Urstoff zur Erschaffung des Alls verwandte (Die Einheit der Welt vertritt Philo in Übereinstimmung besonders mit Plato und den Stoikern. Vgl. Plato Tim. 31a 32c. Diog. La. VII 143. Philos Polemik richtet sich gegen die Epikureer, die (mit Demokrit) behaupteten, dass das Weltall aus unendlich vielen begrenzten Einzelwelten (άπειροι κόσμοι) bestehe.); denn ein Ganzes wäre es nicht, wenn es nicht aus allen Bestandteilen (des Urstoffes) zusammengefügt und zusammengesetzt wäre; es gibt nämlich manche, die mehrere, ja sogar unendlich viele Welten annehmen, Leute, die in Wahrheit selbst unerfahren (απείρους, άπείροι ein im Deutschen nicht wiederzugebendes Wortspiel; άπειρος bedeutet zugleich „unendlich viel" und „unerfahren." Philo hat dieses Wortspiel aus Plato übernommen (Plat. Tim. 55c.)) und in völliger Unkenntnis der Dinge sind, die zu wissen für sie gut wäre. Die fünfte Lehre ist, dass Gott der Welt seine Fürsorge angedeihen lässt; denn dass der Schöpfer für sein Werk Sorge trägt, ist nach den Gesetzen und Bestimmungen der Natur notwendig, denen zufolge auch Eltern für ihre Kinder sorgen. Wer alle diese bewundernswerten und kostbaren Grundsätze nicht mit dem Ohr, sondern vielmehr mit seinem Geiste erfasst und seiner Seele tief eingeprägt hat, dass Gott ist und waltet, dass der wahrhaft Existierende einzig ist, dass er die Welt geschaffen und nur diese eine geschaffen, indem er sie, wie gesagt, sich selbst durch die Einheit gleich machte, und dass er stets für die von ihm geschaffene Welt Sorge trägt, der wird, durchdrungen von den Lehren der Gottesfurcht und Frömmigkeit, ein glückliches und seliges Leben führen.
