2.
Wozu war wohl eine Leiter notwendig, wenn Engel darauf emporsteigen sollten? Denn für die Himmelsgeister sind ja keine Stufen erforderlich. Hier erklärt sich das Geheimnis selbst und zeigt sich der Weg des Sohnes an dieser Leiter. Das Kreuz ist aufgerichtet als eine wundervolle Leiter, auf welcher die Menschen in Wahrheit zum Himmel hinaufgeleitet werden. [90] Durch die Geburt des Sohnes stiegen die Engel zu den Erdenbewohnern herab und erhoben sich die Menschen aus der Tiefe zu der Wohnung der Himmlischen. Durch dieselbe wurden Himmel und Erde wieder vereinigt, welche zuvor verfeindet waren, und herrschte wieder Friede zwischen beiden Teilen, die zuvor getrennt waren. Er erhob sich auf Erden wie eine stufenreiche Leiter und richtete sich empor, damit alle Irdischen durch ihn emporgehoben würden. Das Kreuz hat durch seine Kraft den Zaun der feindlichen Trennung durchbrochen und durch seine Aufrichtung die Himmlischen mit den S. 336 Irdischen vereinigt. Es trug und hob die Menschen, auf daß sie zur Höhe gelangten; wiederum erstreckte es sich abwärts und ließ die Engel zur Tiefe gelangen, um dort Gott zu preisen. [100] An ihm schauten die himmlischen Mächte herab, um niederzusteigen und das Wunder zu schauen, welches ihren Heerscharen verborgen war. Zu ihm blickten auf die Völker und Geschlechter, um zur Himmelshöhe hinaufzusteigen. Denn leicht und zugänglich ist das Hinaufsteigen wie das Herabsteigen. Betrachte das Kreuz und schaue dich satt an seiner Herrlichkeit! Denn es ist ein geräumiger Weg, dessen Beschreitung nicht verwehrt ist, und dient als Verbindung zwischen den Irdischen und den Himmlischen. Wenn es nicht wäre, so könnte der eine Teil dem anderen nicht nahen. So leicht ist es zu beschreiten, daß sogar die Verstorbenen auf ihm wandeln können. Es hat die Vorhölle entvölkert und siehe, auf ihm steigen auch die dem Tode Verfallenen empor! [110] Denn wer könnte wohl anders als durch das Kreuz in den Himmel aufsteigen? Und wenn es nicht wäre, wer würde dann Frieden zwischen den beiden Teilen stiften können? Wer könnte wohl außer ihm jenen unermeßlichen Raum zwischen Himmel und Erde zusammenfassen, um beide miteinander zu vereinigen? Wer hätte wohl den Räuber zum Himmelreich emporgehoben1, wenn sich nicht das Kreuz zu ihm herabgeneigt hätte, damit er auf ihm wandere? Wer hätte wohl die Toten im Hades aus den Gräbern emporgezogen, wenn es nicht zu ihnen herabgestiegen wäre und sie hinaufgetragen hätte?2
Dies ist also das Gesicht Jakobs und seine Offenbarung. In der Leiter erblickte er den Gekreuzigten wahrhaftig. [120] Der Traum war dem Jakob ein deutliches Buch; die Vision verlieh ihm, im Schlafe zu lesen und dadurch erleuchtet zu werden. Im Schweigen der Nacht ruhte er von den weltlichen Regungen und schaute den Herrn der Welt, welcher ihn über die Geheimnisse belehrte. Er entschlief und gelangte zum Lande des Verborgenen; dort lernte er die verhüllten S. 337 Geheimnisse und ihre Deutung. Er schlief auf Erden und wachte unter den Offenbarungen; denn er sah das Wunder, ohne durch die geschaffenen Dinge gestört zu werden. Der Schlaf verschloß seine äußeren Augen für die Außenwelt; da kam die Vision und eröffnete seine Seele für die Geheimnisse. [130] Er schaute das Kreuz, wie es auf Erden stand gleich einer Leiter und als Straße diente, auf welcher die himmlischen Heerscharen wandelten. Er sah über ihm den allgebietenden Herrn stehen, und hörte, wie dieser ihm Mut einsprach, auf daß er furchtlos seines Weges ziehe3. Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Ich werde mit dir sein und dir dieses Land zum Besitztum geben. Dein Same soll seine Städte und deren Bewohner erwerben; durch dich und deinen Samen sollen alle Völker gesegnet werden! Du wirst wachsen auf Erden und durch die Völker alle ihre Enden besitzen. [140] Ich bin mit dir; vor was brauchst du dich also zu fürchten, wohin du auch ziehen magst? Ich behüte dich; wer kann dir da schaden?“
Diesen Reisevorrat gab der Herr dem Jakob daselbst mit auf den Weg, damit er im fremden Lande an nichts Mangel leide. Die geheimnisvolle Vision hatte Reichtum mitgebracht, um ihn damit zu beschenken. Denn er war gewürdigt worden, sie zu schauen und durch keine Not gequält zu werden. Er trat vor den König und empfing Segnungen als Geschenk, auf daß er ausziehe und das strahlende Bild in allen Ländern male. Durch die Kreuzigung wurde der geringe Jakob gesegnet, damit aus ihm der erhabene Erlöser der ganzen Welt entstehe. [150] Er segnete die Völker der Erde durch seinen Samen, nicht aber ihn durch die Völker. Denn es heißt ja: „Durch dich und durch deinen Samen sollen die Völker der Erde gesegnet werden.“ Diesen Segen haben von da an die Völker empfangen, und auf ihnen ruht er, obgleich Jakob gesegnet wurde. Durch ihn und seinen Samen wurden die Völker der Erde gesegnet. Es schweige also jenes Volk4, welches S. 338 so übermütig gegen die Fremden ist; denn alle Völker sind von Gott gesegnet worden. Durch jene Vision, welche ein Vorbild der Kreuzigung war, goß das Geheimnis des Sohnes seine Segnungen reichlich aus und gewährte allen Völkern liebevoll Hoffnung. [160] Nicht Isaak, sondern der Herr war es, welcher den Segen erteilte und durch sein Wort die jüngeren den älteren gleichstellte. Seitdem segnete er alle Völker gleichmäßig; denn das Geheimnis des Sohnes ist umfassend genug, um allen Segen zu verleihen. Wenn damals nicht sein Geheimnis geoffenbart worden wäre, warum wäre dann der Herr auf der Leiter erschienen? Der Gerechte schaute auf dem Berge das Kreuz und an demselben den Herrn; denn durch das Kreuz empfingen die Völker der Erde den Segen. Auf dem Berge befestigte er das geheimnisvolle Kreuz wie eine Leiter, stellte sich selbst auf dessen Spitze und segnete von ihm herab alle Nationen. [170] Wenn es sich nicht in Wahrheit so verhielte, wie ich sage, warum wäre es dann nötig gewesen, daß er sich selbst auf der Leiter zeigte? Daraus ergibt sich doch ganz klar und deutlich, daß es das Kreuz war, an welchem sich der Herr befand und durch welches alle Völker gesegnet sind. Er machte sein Wort so umfassend, daß nicht nur ein einziges Volk, sondern alle durch dasselbe gesegnet würden, und es reicht aus, um alle zu segnen. Das Kreuz wurde damals vorbildlich aufgerichtet gleich einer Leiter und diente den Völkern als ein zu Gott hinaufführender Pfad.