10.
Wir können selbstverständlich den poetischen Wert der Gedichte Jakobs nicht so hoch anschlagen wie der gute Panegyriker. Schwung und Begeisterung findet sich ziemlich selten bei ihm, dagegen stört, zumal in der Einleitung, eine überaus umständliche Weitschweifigkeit und Breite. Doch ist Jakob von Sarug immerhin bedeutend ansprechender als Isaak von Antiochien. Schon das zwölfsilbige Metrum, dessen sich unser Dichter bedient, verleiht seinen Gedichten einen künstlichen Schein von Frische und Leben, während das siebensilbige Versmaß langweilige und gedankenleere Verse vollends unerträglich macht. Dann dichtet Jakob offenbar mit Leichtigkeit, die Worte fließen ihm so mühelos und geläufig zu, daß man den Eindruck erhält, er könne ununterbrochen ins Unbestimmte hinaus so fortfahren, wogegen Isaaks Poesie ihm selbst ebenso beschwerlich zu fallen scheint wie seinen Lesern. Während sich endlich in den Gedichten Isaaks ein gewisser trockener, herber und moroser Geist ausprägt, gewinnen die Schriften Jakobs zehr durch den äußerst liebenswürdigen Charakter des Verfassers, der sich in denselben nirgends verleugnet. Der Grundzug des Charakters ist Vorherrschen des Gemüts, Wohlwollen, Innigkeit und Sanftmut. Recht bezeichnend dafür ist die Art, wie er fast alle seine Gedichte einleitet; nach einer Bitte um den göttlichen Beistand pflegt er nämlich zu bemerken, daß sein Wort eindruckslos und wirkungslos bleiben müsse, wenn es nicht, wie es aus Liebe hervorgehe, so auch mit Liebe angehört werde. Seine Monotonie ist freilich nicht jenes intensive S. 270 Durchdringen der Seele mit einem großen Gedanken, der unter den verschiedensten Gesichtspunkten und den mannigfaltigsten Strahlenbrechungen doch stets derselbe bleibt, wie es uns beim hl. Ephräm entzückt, aber auch nicht jene dürre, schwerfällige Tautologie, die uns bei Isaak von Antiochien zuweilen abstößt; sie ist ein freundliches, anspruchsloses Einerlei, ähnlich dem Murmeln eines Baches, welches eher einschläfert als ermüdet.
Bei der großen Hochschätzung, welche die syrische Kirche unserem Dichter entgegenbrachte, ist es nicht zu verwundern, daß manche seiner Dichtungen auch in die Liturgie Eingang fanden. In den Meßbüchern, Agenden und Brevieren der Maroniten und Jakobiten kommen eine Menge poetischer Stücke vor, welche die Überschrift „von Mar Jakob“ tragen. Diese Überschrift bedeutet freilich zunächst nur, daß dieselben im zwölfsilbigen Versmaß abgefaßt sind. Doch rührt vieles darunter auch wirklich von Jakob von Sarug her, allerdings meistens nur als Exzerpt aus seinen längeren Gedichten. So wird ein Teil seines Gedichtes über die hl. Eucharistie in der syrischen Messe während der Kommunion des Volkes gesungen; der Anfang der Rede über die reuige Sünderin findet sich bei den Maroniten in der Komplet des Sabbats; dieselben verwenden für die erste Nokturn der Ferialtage Abschnitte aus dem von Abbeloos herausgegebenen Hymnus auf die Mutter Gottes. Das lange Gedicht über die Passion verteilt sich vollständig auf die Nokturnen der Charwoche. So enthalten zwar die liturgischen Bücher viel aus Jakob Entlehntes; ob aber etwas diesem Dichter wirklich angehört, bedarf im Einzelfall jedesmal noch genauer Untersuchung. *