8.
Seine Strenge in sittlichen Anforderungen konnte als Neigung zur Aszese gelten, die jeder Christ üben soll; wenn er gleichzeitig den Dualismus der Gnostiker usw. bekämpfte und siegreich die Einheit und Einzigkeit Gottes sowie die Erschaffung der Welt aus Nichts bewies, so mußte man ihm dafür freilich dankbar sein, aber man konnte die Augen nicht gegen die Tatsache verschließen, daß er einige absonderliche Lehren vortrug, und mußte sich fragen, ob sich dieselben mit der Glaubensregel vertrügen, die ja Tertullian selbst als Norm hingestellt, hatte. Wenn er die Körperlichkeit der Seele lehrte wenn er über die Trinität subordinatianisch dachte, S. 43 wenn er an die Inspiration des Montanus und seiner Prophetinnen glaubte, so mußte das auch gewöhnliche Christen befremden, die Vorsteher der Kirche aber mußten sich dagegen erheben. In welcher Weise nun dies geschah und wie im einzelnen die Kluft zwischen ihm und seinen hierarchischen Vorgesetzten, deren Namen er nirgends nennt, sowie dem Klerus sich bildete und erweiterte, das entzieht sich unserer Kenntnis. Aber die Kluft war um das Jahr 211 oder 212 jedenfalls vorhanden.
Wenn nun ein viel späterer Schriftsteller, der als Quelle für die Geschichte jener Zeit nicht gelten kann, wohl aber manchmal aus guten Quellen schöpft, die für uns verloren sind, — wenn Ado von Vienne in seiner Chronik1 ihn erst unter Makrinas, also 217, aus der Kirche ausscheiden läßt, so dürfte manchem diese Datierung zu weit herabgehen. Man kann sie aber so rechtfertigen, daß man sagt, Differenzen zwischen Tertullian und seiner nächsten Umgebung bestanden schon lange, der völlige Bruch aber sei erst durch das Bußedikt des Callistus herbeigeführt worden. Da er dieses Edikt in schärfster Weise angriff, so konnte er nicht länger Mitglied der Kirche bleiben, was denn auch durch die Mitteilung bestätigt wird, die er selbst macht, daß er von den Agapen der Gemeinde ausgeschlossen sei2. Damit wären wir bei der letzten Periode seines Lebens und Wirkens angelangt, welche in literarischer Beziehung durch die drei oder vier extrem montanistischen Streitschriften gekennzeichnet wird (De pudicitia, De monogamia, De jejunio und De virginibus velandis).
Daß Tertullian sich vor seinem Tode wieder mit der Kirche ausgesöhnt habe, ist deshalb nicht anzunehmen, weil noch zur Zeit Augustins die separatistische Gemeinde der Τertullianisten in Karthago bestand3, deren Haupt und Priester er gewesen ist. Sie war die Erbin S. 44 seines Geistes, seiner Lehrmeinungen und wahrscheinlich auch seines Vermögens.
Wollen wir etwas in Betreff seiner Persönlichkeit und seines Charakters wissen, so müssen wir uns mit dem wenigen begnügen, was er nebenbei in seinen Schriften darüber fallen läßt. Daß er als Advokat in Rom verheiratet war, steht fest. Seine Frau zog natürlich mit ihm nach Karthago, starb aber lange vor ihm, da er sich in seiner Schrift über die Auferstehung als Witwer bezeichnet4. Daß er keine zweite Ehe einging, kann als sicher angenommen werden, umsomehr als seine schriftstellerische Tätigkeit mit dem Alter an Intensität und Ausdehnung zunahm. Tertullian hatte Verwandte, die den gebildeten Ständen angehörten; denn er berichtet, einer derselben habe einen Homer-Centо gemacht, d. h. aus Versen, die dem Homer entlehnt waren, ein eigenes Gedicht zusammengestoppelt. Was seine Konstitution anlangt, so scheint er zu Zeiten an Kopfschmerzen gelitten zu haben; denn er sagt: schon ein wenig Kälte schadet dem Kopfe, und trug einen Vollbart5. Was seine Studien angeht, so war er auch Naturkundiger, kannte die Naturgeschichte des Plinius und hat medizinische Schriften, z. B. den Soranus, gelesen. Die griechische Sprache war ihm vollständig geläufig und er hat mehrere Schriften darin verfaßt und seine eigenen Schriften übersetzt, auch solche, welche für die Katechumenen bestimmt waren; er muß also auch Schüler griechischer Zunge gehabt haben unter den Katechumenen. In einer aufblühenden Handels- und Hafenstadt wie Karthago mußte es deren jederzeit geben. Reisen nach Griechenland6) braucht er darum nicht gemacht zu haben, und wenn er mit einigen Einrichtungen der Kirche von Korinth bekannt ist, so konnte er durch andere Kenntnis davon erlangen.
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Ado, Chronicon, Migne P. L. 123 col. 85. Ado hat an dieser 8telle Hieronymus, Scr. ecol. 53 benutzt. ↩
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Tert, De jej. 15 u. 17. ↩
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Vgl. den Praedestinatus c. 86 Migne P. L. 55. ↩
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Als er De cultu fem. II 10 schrieb, war er noch Ehegatte, dagegen Witwer De resurr. c. 59 ↩
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De cnltu fem. II, 8. ↩
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Es ist eine der fixen Ideen Noeldechens, dass Tertullian Griechenland bereist habe, doch fehlen dafür alle Beweise. ↩