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1. Nach diesen Worten fuhr ich fort: „Ich will euch nun beweisen, daß dieser ganze Psalm auf Christus gesagt ist. Ich nehme ihn daher noch einmal durch. Wenn es nun zunächst heißt: ‚O, Gott, mein Gott, achte auf mich! Warum hast Du mich verlassen?’, so wurde damit in alter Zeit eben das vorhergesagt, was zur Zeit Christi gesprochen werden sollte. Als Christus nämlich gekreuzigt war, sagte er1 : ‚O Gott, o Gott, warum hast du mich verlassen?’
2. Auf seine Taten aber nehmen genau Bezug die weiteren Worte: ‚Ferne von meinem Heile sind die Worte meines Elendes. Mein Gott, tagüber schreie ich zu Dir, und nicht willst Du auf mich hören; und nachts und ich habe davon gewußt.’ An dem Tage nämlich, da er gekreuzigt werden sollte, nahm er drei seiner Jünger mit sich auf den sogenannten Ölberg, der dem Tempel in Jerusalem gerade gegenüber liegt, und betete mit den Worten2 : ‚Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!’ Sodann spricht er im Gebete: ‚Nicht wie ich will, sondern wie Du willst’, womit er offenbarte, daß er in der Tat ein leidender Mensch geworden ist. 3. Damit man jedoch nicht sage: ‚Er wußte also nicht, daß er leiden müsse’, ist im Psalme sofort beigefügt: ‚und ich habe davon gewußt’. Gleich wie Gott nicht aus Unwissenheit den Adam fragte, wo S. 162 er wäre3 oder bei Kain sich erkundigte nach dem Orte des Abels4, sondern es tat, um jedem sein Verhalten vorzuwerfen und uns in der Schrift über alles zu belehren, so hat auch Jesus nicht aus Unwissenheit gesprochen, sondern mit Rücksicht auf die Unwissenheit derer, welche meinten, er sei nicht Christus, und glaubten, er werde wie ein gewöhnlicher Mensch sterben und in der Unterwelt bleiben.