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1. Damit ihr aber nicht einwendet: ‚Es war notwendig, daß Christus gekreuzigt wurde, oder daß in unserem Volke Sünder sind, es konnte nicht anders sein’, habe ich zum voraus kurz bemerkt1 : da Gott S. 229 wollte, daß Engel und Menschen seinem Willen gehorchen, wollte er dieselben, damit sie gerecht handeln, mit freiem Willen ausstatten, ihnen, damit sie wissen, wer sie erschaffen hat, und um wessen willen sie aus dem Nichts ins Dasein gerufen worden sind, Verstand geben und ein Gesetz, damit sie gerichtet werden, wenn sie gegen den gesunden Verstand handeln. Wir selbst, Menschen wie Engel, werden die Schuld an unserer Verurteilung sein, wenn wir sündigen und uns nicht rechtzeitig bekehren. 2. Wenn der Logos Gottes die sichere Bestrafung gewisser Engel und Menschen prophezeit, so hat er es deshalb getan, weil er vorauswußte, daß sie verstockte Sünder sein werden, nicht aber deshalb, weil Gott sie zu Sündern gemacht hat. Daher können alle, wenn sie wollen, an der göttlichen Barmherzigkeit teilhaben; sie brauchen sich nur zu bekehren. Solchen prophezeit der Logos Glück mit den Worten2 : ‚Selig der Mann, dem Gott die Sünde nicht anrechnet’, das heißt derjenige, welcher seine Sünden bereut und daher Nachlassung der Sünden von Gott erhält. Ihr jedoch wie noch mancher, der da eurer Gesinnung ist, belügt euch über diese Worte und legt sie also aus: mögen sie auch Sünder sein, so rechnet doch der Herr, wenn sie nur Gott kennen, ihnen ihre Sünde nicht an. 3. Beweis für unsere Auslegung ist uns die eine Sünde Davids, in welche ihn sein Hochmut fallen ließ: die Sünde wurde dann nachgelassen, nachdem er sie so sehr beweint und beklagt hatte. So erzählt die Schrift3. Wenn aber einem solchen Manne nicht, ehe er seine Sünde bereut hatte, Nachlassung gewährt wurde, sondern erst nachdem dieser große König, Gesalbter und Prophet in bekannter Weise geweint und gehandelt hatte, können dann die Unreinen und die ganz Verkommenen, ohne unter Weinen und Klagen Buße zu tun, Hoffnung haben, daß der Herr ihnen ihre Sünde nicht anrechne?
S. 230 4. Ihr Männer“, sagte ich, „auch diese eine Gesetzesübertretung des David mit dem Weibe des Urias4 zeigt, daß die Patriarchen nicht wie Buhler viele Weiber genommen haben, sondern daß ein gewisser Heilsplan und lauter Geheimnisse dadurch ausgedrückt worden sind5. Wenn es nämlich erlaubt gewesen wäre, zu heiraten, welche Frau man will, wie man will und so viele Frauen, als man will, also zu handeln, wie es die Männer eures Volkes machen, welche überall, zu Hause und in der Fremde, unter dem Vorwand der Ehe sich Frauen nehmen, dann wäre es um so mehr dem David erlaubt gewesen.“
5. Das waren meine Schlußworte, teuerster Markus Pompeius6.
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Ebd. ↩
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Ps. 31, 2. ↩
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Vgl. 2 Kön. 12, 13. - Daß Hochmut den König David in die schwere Sünde gestürzt habe, weiß auch der Talmud zu berichten. David soll sich bei Gott beklagt haben, daß man im Gebete von dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs spreche, aber nicht von dem Gott Davids. Vgl. Goldfahn a.a.O. S. 43. [San 107a]. ↩
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2 Kön. 11, 2 ff. ↩
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Vgl. Dial. 134, 2. ↩
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Über den Adressaten des Dialoges, Markus Pompeius, wissen wir sonst nichts. ↩