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Rede an die Bekenner des Griechentums (BKV)
12.
S. 212 (1) Zweierei Lebensgeister (πνεύματα) kennen wir, und zwar einen, den wir „Seele“ schlechtweg nennen1, und einen, der höher steht als die Seele und Gottes Ebenbild und Gleichnis ist2. Beide wohnten in der Brust der ersten Menschen, damit sie zwar an der Materie teilhätten, aber doch auch über ihr stünden. Es verhält sich damit wie folgt.
(2) Das ganze Weltgebäude und die ganze Schöpfung besteht, wie man sehen kann, aus Materie und die Materie selbst ist von Gott geschaffen, wobei man sich denken muß, daß sie vor der Scheidung der Elemente wüst und ungestalt, erst nach derselben schön und wohl geordnet war. (3) So bestehen der Himmel und seine Sterne aus Materie; auch die Erde und was immer auf ihr lebt, hat dieselbe Beschaffenheit, so daß überhaupt alles gleicher Herkunft ist. (4) Trotzdem aber gibt es Unterschiede in den materiellen Dingen, so daß das eine besonders schön, das andere zwar auch schön ist, aber doch von etwas vorzüglicherem in den Schatten gestellt wird. (5) Denn wie die Zusammensetzung des menschlichen S. 213 Körpers einheitlich und maßgebend für seine Existenz ist und demgemäß seine Teile verschiedenes Ansehen haben, hier das Auge seinen Patz findet, dort das Ohr, da der Schmuck der Haare, das System der Eingeweide, das Gefüge von Mark, Knochen und Sehnen, und wie trotz aller Verschiedenheit der Teile das Ganze eine in seiner Zweckmäßigkeit durchaus harmonische Einheit bildet: so hat auch die Welt gemäß der Macht ihres Schöpfers schönere und minder schöne Bestandteile empfangen und nach dem Willen ihres Bildners einen materiellen Lebensgeist bekommen3. (6) Dies kann im einzelnen jeder einsehen, der nicht in lauter Aufgeblasenheit die hochheiligen Offenbarungen4 von sich weist, die im Laufe der Zeit schriftlich aufgezeichnet worden sind und alle jene zu Freunden Gottes gemacht haben, die ihnen Gehör schenken.
(7) Gleich den Menschen5 haben also auch die Dämonen, wie ihr sie nennt, eine materielle Konstitution mit einem materiellen Geist erhalten und sind sündhaft und üppig geworden, da sich nur einige von ihnen der Reinheit zuwandten6, die anderen aber den Schmutz der Materie wählten und demgemäß ihren Wandel einrichteten. (8) Diese betet ihr an, ihr Bekenner des Griechentums, obgleich sie aus irdischem Stoffe geworden sind und weitab von der rechten Ordnung befunden wurden. (9) Denn da sie sich in ihrer Torheit ruhmsüchtiger Eitelkeit hingegeben und alle Zügel abgeworfen hatten, erfrechten sie sich sogar, Gottesräuber zu werden7. Der Herr des Alls aber läßt sie ihren Übermut treiben8, bis die Welt ein Ende nimmt und aufgelöst wird und der Richter erscheint und alle Menschen, die während des Aufruhrs der Dämonen nach der S. 214 Erkenntnis des vollkommenen Gottes gestrebt haben9, am Tage des Gerichtes ein um so makelloseres Zeugnis um ihrer Kämpfe willen empfangen werden.
(10) Es gibt demnach einen Lebensgeist in den Gestirnen, einen Lebensgeist in den Engeln, einen Lebensgeist in den Pflanzen und Gewässern, einen Lebensgeist in den Menschen, einen Lebensgeist in den Tieren: aber obgleich er überall ein und derselbe ist, birgt er doch Unterschiede in sich selbst. (11) Da wir aber das nicht bloß mit der Zunge und auf Grund bloßer Vermutungen und Schüsse oder eines sophistischen Sammelsuriums behaupten, sondern uns auf die Worte einer göttlichen Kundgebung stützen können, so eilt herbei, die ihr lernen wollt! (12) Da ihr ja nicht einmal den Skythen Anacharsis10 zum Geier gejagt habt, so lasset euch auch einmal gefallen, von den Jüngern einer barbarischen Religionslehre unterrichtet zu werden. Macht Gebrauch von unseren Lehrsätzen, sei’s auch nur wie von der babylonischen Mantik, hört auf uns, sei’s auch nur wie auf eine orakelspendende Eiche11! (13) Derlei Wahrsagereien sind doch nur Kampf- und Truglehren verblendeter Dämonen: die Lehren unserer Wissenschaft aber stehen höher als Ausgeburten eines irdischen Verstandes12.
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Vgl. Kap. XIII 3 ἡ ἀνεπιστήμων ψυχή = Kap. XII 5 τὸ πνεῦμα ὑλικόν. ↩
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Vgl. Kap XIII 4 τὸ θεῖον πνεῦμα , auch τὸ ἅγιον (XV 1), τὸ ἐπουράωιον (XVI 6), τὸ τέλειον πνεῦμα (XX 2). ↩
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S. TsgA. S. 24 f. ↩
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Vgl. unten § 11 und Kap. XX 6; XXXVI 4. ↩
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*Lies ὁμῶς (sc.τοῖς ἀνθρώποις), s. TsgA. S. 25 f. ↩
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Die guten Engel (vgl. unten § 10 und oben Kap. VII 5 f.), nach dem Scholion des Arethas zu p. 13,17 Schw. die ἀυλότεροι (die „nicht-materiellen“) im Gegensatz zu den ὑλικώτεροι (den „materiellen“ Dämonen). ↩
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Vgl. Kap. X 5. ↩
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Vgl. Kap. VII 6. ↩
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Lies mit den Handschriften ὲφιέμενοι. ↩
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Ein Freund Solons, s. Herod. IV 76; Cic. Tusc. V 32, 90; Plu. Sol. 5; vgl. W. Schmid bei Pauly-Wissowa Real-Enzykl. I 2017 f. ↩
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Vgl. Kap. XVII 2. ↩
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*Wörtlich: „stehen über irdischem Verstande“, d.h. die christlichen Lehren sind kein Machwerk irdischer Geister wie die Mantik, sondern stammen von Gott. Die Interpretation Harnacks u. aa.: „Die Lehren unseres Unterrichtes sind zu erhaben, als daß die Welt sie erfassen könnte“, ist unmöglich; wie der Zusammenhang lehrt (vgl. Kap. XVI 4), will Tatian vielmehr sagen, daß die christlichen Lehren von der Welt sehr wohl „erfaßt“ werden köännen, aber keineswegs von einem „irdischen Verstande“ (κοσμικῆς καταλήψεως) erfunden werden konnten! ↩
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Address of Tatian to the Greeks
Chapter XII.--The Two Kinds of Spirits.
We recognise two varieties of spirit, one of which is called the soul 1 (psuche), but the other is greater than the soul, an image and likeness of God: both existed in the first men, that in one sense they might be material (hulikoi), and in another superior to matter. The case stands thus: we can see that the whole structure of the world, and the whole creation, has been produced from matter, and the matter itself brought into existence 2 by God; so that on the one hand it may be regarded as rude and unformed before it was separated into parts, and on the other as arranged in beauty and order after the separation was made. Therefore in that separation the heavens were made of matter, and the stars that are in them; and the earth and all that is upon it has a similar constitution: so that there is a common origin of all things. But, while such is the case, there yet are certain differences in the things made of matter, so that one is more beautiful, and another is beautiful but surpassed by something better. For as the constitution of the body is under one management, and is engaged in doing that which is the cause of its having been made, 3 yet though this is the case, there are certain differences of dignity in it, and the eye is one thing, and another the ear, and another the arrangement of the hair and the distribution of the intestines, and the compacting together of the marrow and the bones and the tendons; and though one part differs from another, there is yet all the harmony of a concert of music in their arrangement;--in like manner the world, according to the power of its Maker containing some things of superior splendour, but some unlike these, received by the will of the Creator a material spirit. And these things severally it is possible for him to perceive who does not conceitedly reject those most divine explanations which in the course of time have been consigned to writing, and make those who study them great lovers of God. Therefore the demons, 4 as you call them, having received their structure from matter and obtained the spirit which inheres in it, became intemperate and greedy; some few, indeed, turning to what was purer, but others choosing what was inferior in matter, and conforming their manner of life to it. These beings, produced from matter, but very remote from right conduct, you, O Greeks, worship. For, being turned by their own folly to vaingloriousness, and shaking off the reins [of authority], they have been forward to become robbers of Deity; and the Lord of all has suffered them to besport themselves, till the world, coming to an end, be dissolved, and the Judge appear, and all those men who, while assailed by the demons, strive after the knowledge of the perfect God obtain as the result of their conflicts a more perfect testimony in the day of judgment. There is, then, a spirit in the stars, a spirit in angels, a spirit in plants and the waters, a spirit in men, a spirit in animals; but, though one and the same, it has differences in itself. 5 And while we say these things not from mere hearsay, nor from probable conjectures and sophistical reasoning, but using words of a certain diviner speech, do you who are willing hasten to learn. And you who do not reject with contempt the Scythian Anacharsis, do not disdain to be taught by those who follow a barbaric code of laws. Give at least as favourable a reception to our tenets as you would to the prognostications of the Babylonians. Hearken to us when we speak, if only as you would to an oracular oak. And yet the things just referred to are the trickeries of frenzied demons, while the doctrines we inculcate are far beyond the apprehension of the world.
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[See cap. xv., infra.] ↩
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Literally, "brought forth" or "forward." The word does not imply that matter was created by God. ↩
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Tatian's words are somewhat obscure. We have given substantially the opinion of Worth, as expressed in his translation. The sense is: The body is evidently a unity in its organization and its activity, and the ultimate end which it serves in creation is that with which it is occupied, yet there are differences in respect of the parts. Otto renders: "For as the constitution of the body is of one plan, and in reference to the body the cause of its origin is occupied." ↩
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[Demons. The Paris editors have a note here, bidding us to read with caution; as our author seems rashly to imagine the demons to be material creatures. p. 151, ed. 1615.] ↩
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["Which, though one and the same, is thus variously modified." Kaye's rendering in his Justin, p. 184.] ↩