21.
(1) Wir sind ja keine Narren, ihr Anhänger der Griechenehre, und wir reden keine Possen, wenn wir S. 228 verkündigen, daß Gott in Menschengestalt erschienen ist. Die ihr uns verspottet, vergleicht doch euere Märchen mit unseren Darlegungen1! Hektors wegen soll Athene die Gestalt des Deiphobos angenommen haben2 und um Admetos’ willen weidete der ungeschorene Phoibos die schleppfüßigen Rinder und als altes Weib kam zu Semele die Gattin des Zeus. (3) Als Leute, die solches Zeug aushecken, wollt ihr uns verlachen? Gestorben ist euer Heilgott Asklepios und der Mann, der zu Thespiae in einer Nacht fünfzig Mädchen entjungferte, hat sich selbst den Flammen zum Fraß überliefert und ist gleichfalls tot3. Prometheus wurde an den Kaukasus angeschmiedet und erduldete Strafe für die Wohltat, die er den Menschen erwiesen hat. Neidisch ist Zeus auf euch und schickt dunkle Träume, wenn er die Menschen verderben will4. (4) Daher blickt auf euere eigenen Denkwürdigkeiten und hört uns wenigstens an, wenn auch nur als ob wir mit euch um die Wette fabulierten. Und wir sind ja gar nicht töricht: albern ist euer Geschwätz. (5) Laßt ihr die Götter S. 229 geboren werden, so erklärt ihr sie damit auch für sterblich. Warum ist denn Hera jetzt nicht mehr schwanger? Ist sie alt geworden5 oder habt ihr niemanden der es euch verraten könnte? (6) Laßt euch endlich von mir überzeugen, ihr Bekenner des Griechentums, und erklärt euere Mythen und Götter doch nicht für Allegorien6: selbst wenn ihr nämlich zu diesem Auskunftsmittel greifen solltet, ist euer Gottesbegriff schon umgebracht, nicht bloß von uns, sondern auch von euch selber. Denn entweder sind euere Dämonen, falls sie so sind, wie sie geschildert werden, sittlich schlecht oder man wandelt sie in Naturkräfte und dann sind sie erst recht nicht, was sie sein sollen. Die göttliche Wesenheit der Gestirne7 zu verehren, dazu würde ich weder mich überreden lassen noch meinen Nächsten überreden wollen. (7) Metrodoros von Lampsakos8 hat in seinem Buch über Homer gar zu einfältiges Zeug behauptet, indem er alles in Allegorien verwandelte. Er meint nämlich, weder Hera noch Athene noch Zeus seien das, wofür sie diejenigen hielten, die ihnen Tempel und Haine geweiht haben, sondern sie seien Naturkräfte und an den Himmelskörpern haftende Dispositionen9. (8) Auch S. 230 Hektor und Achilles natürlich, ferner Agamemnon und mit einem Worte alle Griechen und Barbaren mitsamt der Helena und dem Paris seien gleicher Herkunft, werdet ihr sagen, und bloße Phantasiegestalten, die der Dichter für seinen Zweck auf die Szene brachte, ohne daß eine der erwähnten Personen wirklich existiert hätte. (9) Doch dies alles habe ich nur mit Vorbehalt gesagt; denn schon das wäre sündhaft, unseren Gottesbegriff mit Götzen, die sich in Materie und Schmutz wälzen10, auch nur in Vergleich zu ziehen.
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S. Orig. I 37, vgl. Geffcken ZgrA. S. 180 zu Athenagoras X. Tatian bekämpft die von den Heiden behauptete Unglaubwürdigkeit der Menschwerdung Gottes durch den Hinweis auf hellenische Mythen, weist aber zugleich nach einer Kritik dieser Mythen jede Analogie derselben mit dem christlichen Mysterium zurück (§9). ↩
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Hom. Il. XXII 226. ↩
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Nach Apollodor gab der König der Thespier zum Danke für die Erlegung des Löwen, der auf dem Kithäron hauste, dem jungen Herakles seine fünfzig Töchter zum Liebesgenusse, aus dem fünfzig Söhne entsprossen. Zu bekannten Erzählung über den Selbstmord des Herakles s. s. Diod. IV 38; Apollod. II 7,7 u.a. ↩
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*Vgl. Hom. Il. II 6 sqq.; κρύπτει τὸν ὄνειρον (vgl. Kap. XVIII 7) scheint verderbt: vielleicht κoρύσσει τὸν ὄνειρον? ↩
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Geffcken ZgrA. S. 112, Anm. 3 vergleicht Seneca fr. 119: „Quid ergo est … quare apud poetas salacissimus Juppiter desierit liberos tollere? utrum sexagenarius factus est?“ ↩
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Schon sehr früh wurde an Stelle der historischen Erklärung Homers die allegorische gesetzt; sie war ein Steckenpferd der stoischen Homertheologen, fand aber auch bei Grammatikern Eingang und wurde zur Zeit des Augustus in ein förmliches System gebracht. Das uns erhaltene Buch Ἀλληγορίαι Ὁμηρικαί (richtiger Ὁμηρικὰ προβλήματα) eines gewissen Herkleitos aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert ist daraus hervorgegangen. Zweck dieser allegorischen Deutung war, gegenüber Spöttern und Leugnern ein letztes Mittel zur Rettung der hellenischen Götterlehre zu versuchen; vgl. Wendland, Hellenist.-römische Kultur, 2./3. Aufl. S. 112 ff. ↩
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τῶν στοιχείων τὴν ὑπόστασιν, nicht „die Elemente“, wie Harnack mit Gröne übersetzt, oder la substance des éléments matériels *, wie Puech interpretiert; s. die Anmerkungen zu Kap. V i und IX 1. ↩
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Vgl. Diog. Laert. II 3,7. ↩
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*So ist διακοσμήσεις zu verstehen. ↩
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Vgl. Kap. III 5. ↩