1.
Wenn wir nun verstehen, was denn eigentlich „Gebet“ bedeutet, dann darf man wohl zu keinem der Geschaffenen beten, auch nicht zu Christus selbst, sondern allein zu dem Gott und Vater aller, zu dem auch unser Heiland selbst betete, wie wir oben1 dargelegt haben, und zu dem er uns beten lehrt. Denn als er die Worte gehört hatte: „Lehre uns beten2“, lehrt er nicht zu ihm, sondern zu dem Vater beten und sprechen: „Unser Vater in den Himmeln3“ und so weiter. Denn wenn, wie an anderem Orte4 gezeigt wird, der Sohn vom Vater dem Wesen und der Person nach unterschieden ist5, so muß man entweder zum Sohn und S. 56 nicht zum Vater beten, oder zu beiden, oder zum Vater allein. Zum Sohn und nicht zum Vater beten, das wird jeder, wer es auch sei, für ganz unmöglich und dem klaren Augenschein widersprechend erklären; wenn aber zu beiden, so würden wir offenbar wohl unsere Wünsche in der Mehrzahl vorbringen und in den Gebeten sprechen: „gewährt“ und „erzeigt Wohltaten“ und „helft“ und „rettet“, und wenn es etwas dergleichen gibt. Diese Ausdrucksweise ist an und für sich unangemessen, auch kann man nicht nachweisen, dass sie in den (heiligen) Schriften von jemandem gebraucht werde. Es bleibt also übrig, allein zu Gott, dem Vater des Weltalls, zu beten, aber nicht ohne den Hohenpriester, welcher von dem Vater „mit Eidschwur6“ eingesetzt wurde nach dem Wort: „Er hat geschworen, und es wird ihn nicht gereuen; du bist Priester für immerdar nach der Weise Melchisedeks7.“