16.
Sie nennen sich selbst Peraten und nehmen an, nichts von dem, was im Werden begriffen ist, könne dem von seiner Entstehung an bestimmten Schicksal entgehen. Wenn etwas geworden ist, geht es auch völlig S. 119 zugrunde, wie auch die Sibylle meint. Wir allein, so sagen sie, haben den Zwang des Entstehens erkannt und sind über die Wege, auf denen der Mensch in die Welt gekommen ist, genau unterrichtet und können allein den Untergang durchschreiten und hinübergelangen. Der Untergang ist das Wasser, und durch nichts ist die Welt schneller zugrunde gegangen als durch das Wasser; das Wasser ist aber das, was die Proastien1 umfließt, nämlich der Kronos; er ist eine wasserfarbige Kraft, welcher keiner der im Werden Befindlichen entfliehen kann; Kronos ist nämlich der Grund dafür, daß jede Kreatur dem Untergang verfällt, und keine Kreatur mag entstehen, ohne daß Kronos hemmend im Wege steht. Hiervon reden die Dichter, und es setzt selbst die Götter in Schrecken.
„Wissen soll's nämlich (heißt es) Gaia und Uranos oben, der weite,
Und das rinnende Wasser des Styx; und das ist der größte
Und der gewaltigste Schwur für alle seligen Götter“.2
Das sagen nicht nur die Dichter, sondern schon die Weisesten der Griechen, zu denen Heraklitus gehört, der behauptet: „Für die Seelen ist es Tod, zu Wasser zu werden“3; so ergreift der Tod die Ägypter mit ihren Wagen4 im Roten Meer; alle die Unwissenden aber sind Ägypter. Der Auszug aus Ägypten bedeutet den Auszug aus dem Leibe — Ägypten sei der Körper, glauben sie —, und das Rote Meer überschreiten, das bedeutet das Wasser des Untergangs, den Kronos nämlich, überschreiten und über das Rote Meer gelangen, das bedeutet über das Entstehen hinüber gelangen, und in die Wüste kommen5, das bedeutet aus dem Werden herausgelangen, dorthin, wo alle Götter des Verderbens und der Gott der Erlösung zusammen sind. Die Götter des Verderbens sind die Sterne, die dem Entstehenden die Notwendigkeit der Veränderung auferlegen. Moses nannte sie die Schlangen der Wüste6, die jene beißen und S. 120 verderben, die meinen, das Rote Meer durchschritten zu haben. Den Söhnen Israels, die gebissen worden waren, zeigte Moses in der Wüste die wahre Schlange, die vollkommene; die, welche auf sie vertrauten, wurden in der Wüste, d. i. von den Kräften nicht gebissen. Niemand also kann die aus Ägypten, d. i. aus diesem Leib und aus dieser Welt Ausziehenden, retten und bewahren, außer die vollkommene, die jede Fülle in sich schließende Schlange allein. Wer auf sie hofft7, wird von den Schlangen der Wüste, d. i. von den Göttern des Werdens, nicht zugrunde gerichtet. Im Buche Moses steht geschrieben8: Diese Schlange ist die Kraft, die Moses begleitete, der Stab, der in eine Schlange sich verwandelte. Der Kraft des Moses stellten sich in Ägypten die Schlangen der Magier entgegen, die Götter des Verderbens, aber sie alle überwand und vernichtete der Stab des Moses9. Diese allgemeine Schlange ist die weise Rede der Eva10. Dies ist das Geheimnis Edem, dies der Fluß aus Edem11, dies das dem Kain gegebene Zeichen, auf daß jeder, der ihn finde, ihn nicht töte12. Dies ist Kain, dessen Opfer der Gott dieser Welt nicht annahm; das blutige des Abel aber nahm er an; an Blut hat der Herr dieser Welt Wohlgefallen. Das Schlangentier erschien in den letzten Tagen in Menschengestalt zur Zeit des Herodes13, es war nach dem Bilde Josephs geschaffen, welcher durch Bruderhand verkauft wurde und der allein ein buntes Gewand hatte14. Dieses ist nach dem Bilde Esaus geschaffen, dessen Gewand auch in seiner Abwesenheit gesegnet wurde, der den Segen des Blinden nicht empfing, aber nach außen reich wurde15, nichts von dem Schwachgesichtigen erhielt, dessen Antlitz Jakob sah „wie ein Mensch das Antlitz Gottes sehen mag“16. Von ihm steht geschrieben: „Wie Nebrod der riesige Jäger vor Gott“17. Es gibt aber so S. 121 viele Nachäffer des Schlangentieres, als beißende Schlangen von den Söhnen Israels in der Wüste gesehen wurden; jenes vollkommene, das Moses aufstellte, rettete die Gebissenen vor ihnen. Dies bedeutet das Wort: „Wie Moses die Schlange in der Wüste erhöhte, so muß der Menschensohn erhöht werden“18. Nach dessen Bilde ward die eherne Schlange, die Moses in der Wüste aufstellte, gemacht. Deren Bild allein ist am Himmel immerwährend im Lichte sichtbar. Das ist der große Anfang, von dem in der Schrift steht. Über ihn ist gesagt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfange bei Gott, alles ist durch dasselbe gemacht worden, und ohne dasselbe ist nichts geschaffen worden; was in ihm geschaffen ist, ist Leben“19. In ihm ward die Eva geschaffen, Eva, das Leben. Dies ist die Eva, die Mutter aller Lebendigen20, die gemeinsame Wesenheit, d. i. die der Götter und der Engel, der Unsterblichen und der Sterblichen, der vernunftlosen und der vernünftigen Dinge. Denn wer „aller“ sagte, der sagte „aller“; und wenn einer „selige Augen“21 hat, der blickt zum Himmel auf und sieht der Schlange schönes Bild, das sich im großen Anfange des Himmels wendet und Anfang aller Bewegung für alles Werdende wird, und er erkennt, daß ohne sie nichts von den himmlischen und irdischen und unterirdischen22 Dingen entstanden ist; weder die Nacht, noch der Mond, noch Früchte, noch Entstehen, noch Reichtum, noch Wanderschaft, noch überhaupt etwas von dem Existierenden ist ohne deren Leitung. Hierin liegt „das große Wunder, das am Himmel von denen gesehen wird, die sehen können“. An der Spitze ihres Kopfes nämlich vermischen sich, was den Nichtwissenden unglaublich erscheint, Aufgang und Untergang miteinander23. Dies ist es, worüber die Unwissenheit gesagt hat: Am Himmel S. 122
„Windet sich ein gewaltiges Wunder, ein riesiger Drache“24.
Auf beiden Seiten schließen sich ihm an der Kranz und die Lyra, und oben am Kopfe selbst sieht man den erbarmungswürdigen Menschen, den Knienden,
„Haltend des rechten Fußes Spur auf dem geringelten Drachen“25.
Am Rücken des Knienden aber liegt die unvollkommene Schlange, die vom Schlangenhalter mit beiden Händen zusammengeschnürt und abgehalten wird, zum Kranz, der neben der vollkommenen Schlange liegt, zu gelangen.
-
Vorstädte. ↩
-
Od. 5, 184. ↩
-
Fr. 36 D. ↩
-
Exod. 14, 28. ↩
-
Exod. 15, 22. ↩
-
Num. 21, 6 ff. ↩
-
Exod. 7, 12. ↩
-
Vgl. Exod. 4, 2—17; 7, 9—13. ↩
-
Exod. 7, 11—12. ↩
-
Gen. 3, 1— 7. ↩
-
Gen. 2, 8—10. ↩
-
Gen. 4, 3 —5. ↩
-
Vgl. Matth. 2, 1. ↩
-
Gen. 37, 3 ff. ↩
-
Gen. 27, 1; 33, 9. ↩
-
Gen. 33, 10. ↩
-
Gen. 10, 9. ↩
-
Joh. 3, 14. ↩
-
Joh. 1, 1—4. ↩
-
Gen. 3, 20. ↩
-
Matth. 13, 16; Luk. 10, 13. ↩
-
Vgl. Phil. 2, 10. ↩
-
Arat. V, 61, 62 (o. IV, 47). ↩
-
Arat. V, 46 (o. IV, 47). ↩
-
Arat. V, 70 (o. IV, 47). ↩
