Einleitung
S. 3 *Zum Wertvollsten im literarischen Nachlasse des hl. Basilius rechnete und rechnet man sein Hexaemeron (Sechstagewerk), eine exegetische Darbietung des mosaischen Schöpfungsberichtes (Gen 1, 1-26) in neun Homilien (Migne, Patrol. Graec. XXIX, 3-208).
Gehalten wurden die Homilien in der Fastenzeit (Hom. VIII c. 8: „Wir wollen leiblich fasten zur Wohlfahrt der Seele.” - „Was nützt das leibliche Fasten, wenn die Seele mit tausend Bosheiten angefüllt ist?”) an fünf aufeinanderfolgenden Tagen, und zwar in nachstehender Verteilung: Homilie l und II am ersten Tage (II c. 1 [Einleitung], c. 8; lll c. 1 [„Die gestrige Rede erstreckte sich auf die am ersten Tage geschehenen Dinge und verteilte den Vortrag für die Hörer, bot am Morgen eine Kost für die Seele, am Abend eine Erquickung”]), Homilie III und IV am zweiten Tage (III c. 1, c. 10 [Basilius entläßt am Morgen seine Zuhörer mit einer Einladung zur „Abendpredigt”, die dann offenbar in der IV. Homilie geboten ward1]), Homilie V am dritten Tage, und zwar morgens (Hom. V c. 9 lesen wir: „Der Tag würde nicht hinreichen, die ganze Schöpferweisheit . . . nachzuweisen”)2, Homilie VI und VII am vierten Tage (Hom. VII c. 6: „Meine Erschöpfung und die späte Stunde nötigen mich zum Schlusse.” - „Wir wollen zur Fortsetzung den Tag abwarten.” - „Möge der Inhalt meiner Morgen- und Abendpredigt auch bei der Einnahme eurer Mahlzeit euer Tischgespräch sein!”), Homilie VIII und IX S. 4 am fünften Tage (Hom. VIII c. 8: „Was wollt ihr bis zum Abend tun?” - „Widme den heutigen Tag dem Dienst der Seele!” - „Wir wollen hier mit dem Morgenmahl Schluß machen, damit nicht Übersättigung euch den Geschmack am Abendmahl verderbe.” - Hom. IX c. 1: „Wie hat euch der Morgentisch gefallen?” u. c. 6: „Der [späte] Abend gebietet Schweigen.”). - Die in Hom. IX c. 6 angekündigte „weitere Ausführung des Themas” war offensichtlich für den sechsten Tag berechnet3. Über die „Erschaffung des Menschen” sollte also eine weitere, wohl zweiteilige (Morgen- und Abend-)Homilie folgen. Überliefert ist uns freilich die angekündigte Fortsetzung nicht, weil er (allem nach) nicht zur Einlösung seines Versprechens kam. Zeugen dafür sind uns Gregor von Nyssa, der seine Schrift „de hominis opificio” (Migne, Patrol. Graec. XLIV. 126-256) ausdrücklich zu dem Zwecke verfaßte, seines Bruders unvollendet gebliebene Homilien zu ergänzen, und Ambrosius, der bei der Abfassung seines Hexaemerons (Migne, Patrol. Lat. XIV, 123-274) nur neun Homilien des Basilius kannte und verwertete4. - Fälscherhand hat dann die fehlende(n) Basilius-Homilie(n) mit zwei Nachträgen „de hominis structura” (MPG XXX, 9-37, 37-61) und mit einer weiteren Rede „de paradiso” (MPG XXX, 61-72) zu ersetzen gesucht5.
Wo und in welchem Jahre Basilius die Homilien gehalten hat, ist nicht feststellbar - vermutlich noch als Priester. Sie sind wahrscheinlich älter als die „Psalmenhomilien”, die Basilius sicher vor Antritt seines S. 5 Episkopates hielt. Auch findet sich im Hexaemeron keinerlei Reminiszenz an die Pneumatomachen, gegen die doch eine Polemik von einem Bischof Basilius (b0ischof ab 370), besonders in Hom. II c. 6, zu erwarten wäre6.
Basilius predigte vor einem aus Männern, Frauen und Kindern (Hom. IV c. 7) gemischten, den verschiedensten Berufs- und Bildungsschichten zugehörigen Publikum. Handwerker, Künstler, Geschäftsleute, die von ihrer Hände Arbeit, ihrem Erwerb und Geschäft leben mußten (Hom. III c. 1, 10), Leute auch höheren Bildungsgrades, bei denen er ziemlich viel naturwissenschaftliches und philosophisches Interesse und Verständnis voraussetzen durfte, waren seine aufmerksamen Zuhörer. - Ob er die neun Homilien aus dem Stegreif gehalten, nur nach reiflicher Meditation, scheint fraglich. Rufin bezeugt zwar (hist. eccl. II. 9) für Basilius diese Predigtmethode als die reguläre. Anhaltspunkte scheinen auch in den Homilien selbst zu liegen: In Hom. VII c. 6 bringt der Redner trotz des angekündigten Schlusses noch einen ansehnlichen Nachtrag, und in Hom. VIII c. 2 läßt Basilius eine längere Pause eintreten, und durch Winke aus dem Publikum daran erinnert, daß er eine wichtige Materie übersehen habe, erklärt er sich bereit, jetzt nachträglich die vergessene Vogelwelt zu behandeln.
Basilius will seine gläubigen Zuhörer in die großen und kleinen Wunder des Weltalls einführen an Hand des biblischen Berichtes, der glaubwürdiger als alle philosophischen Spekulationen und meist widersinnigen Theorien der „Außenstehenden” über die Schöpfung und den Schöpfer Aufschluß gebe. Vers für Vers erklärt er den Schöpfungsbericht vom naturgeschichtlichen Standpunkt seiner Zeit aus. In der erstaunlichen Fülle naturwissenschaftlicher Einzelheiten auf allen Gebieten des S. 6 sichtbaren Kosmos will der gelehrte Kirchenvater ebensoviele Stimmen der Natur für Gottes Macht, Schönheit und Güte zeugen lassen und damit die Menschen selbst zu gleicher Huldigung für den Schöpfer aufrufen. Häufig genug wird das Naturleben zum Sinnbild des Menschenlebens, zum Vorbild oder zum abschreckenden Beispiel, sei es für einzelne, sei es für die Allgemeinheit. - Will man auch das Hexaemeron nicht als wirklich oratorische Leistung gelten lassen, in ihm auch eine gewähltere Sprache missen, die man z. B. dem Hexaemeron des Ambrosius nachrühmen darf, so verrät Basilius doch überall seine warme Liebe zum Thema und bekundet sein angeborenes Naturgefühl in manchmal fesselnder Naturschilderung (vgl. die Schilderung des Meeres (Hom. IV c. 6) und des Sternenhimmels (Hom. IV c. 7)). Selbst Alexander v. Humboldt zollte ihm dafür die Anerkennung (Kosmos II, S. 29; Stuttgart 1847).
Übrigens hütet sich Basilius vor zuweitgehender Symbolik, und seiner exegetischen Methode widerspricht es, in Allegorese sich zu verlieren. Wiederholt betont er, nur dem Literalsinne des biblischen Berichtes aufhorchen und folgen zu wollen (II, 5; III, 9; IX, 1).
Quellen seiner naturwissenschaftlichen Kenntnisse waren ihm eigene scharfe Beobachtungsgabe und, wie er wiederholt bemerkt, anderer Erlebnisse und Mitteilungen. Stark abhängig ist er sodann zumal in seinen geographischen Angaben (und Irrtümern) von älteren Quellen, den Schriften des Aristoteles und wohl auch der „Naturgeschichte” des Plinius. Das Hexaemeron zeigt auch mannigfache Berührungen mit der „Tiergeschichte” Aelians. 7 und den Halieutika des Dichters Oppian8.
Die Hexaemeron-Homilien haben sehr bald ihre z. T. überschwengliche Anerkennung gefunden. So schrieb Gregor von Nazianz (Or. XLIII, 67; Migne, Patrol. Graec. XXXVI, 585): S. 7 „Wenn ich das Hexaemeron zur Hand nehme und lese, dann bin ich mit dem Schöpfer zusammen, erkenne die Pläne der Schöpfung und bewundere den Schöpfer mehr als bisher, da ich ihn nur mit meinem Auge betrachtete.” Gregor v. Nyssa (Explicatio apologetica . . . in hexaemeron; MPG XLIV, 61) fand den Kommentar des Basilius ebenso bewundernswert wie den Schrifttext aus der Feder des Moses. Und Ambrosius, der für sein Hexaemeron das des Basilius zur Vorlage nahm, rühmt eben damit den exegetischen Homileten. - Heute urteilt man über den Wert dieser Homilien nicht mehr so einig. Doch entgegen der etwas geringschätzigen Kritik seitens Fr. Böhringers9 dürfen wir mit Recht das zutreffendere Urteil von O. Zöckler, 10 wiederholen: „Was ihnen eine hervorragende Bedeutung innerhalb der gesamten morgenländischen christlichen Literatur sichert und auch noch auf heutige Leser einen nicht unbeträchtlichen Reiz ausübt, ist das rege Interesse an der Fülle großer, lieblicher und erhabener Erscheinungen des sichtbaren Kosmos, das sich in ihren zum Teil glänzenden und trefflich gelungenen Naturschilderungen ausdrückt. Die Reichhaltigkeit der vermöge eben dieses warmen Naturinteresses von ihm in Diskussion gezogenen Materien aus fast allen Schöpfungsgebieten übertrifft alles von den früheren altchristlichen Hexaemeron-Auslegern, soweit sie uns noch näher bekannt sind, in dieser Beziehung Versuchte und Geleistete.”
Außer den bisher vorliegenden deutschen Übersetzungen des Hexaemerons wurde für die neue Version vornehmlich auch die englische von Bl. Jackson (in: A select Library of Nicene and Post-Nicene Fathers of the Christian Church, ser. 2, vol. 8. New-York 1895) mit ihren reichhaltigen Fußnoten eingesehen.*
-
Anderer Verteilung (Hom. IV einem eigenen dritten Tage zuweisend) redet O. Bardenhewer (Geschichte der altkirchlichen Literatur [Freiburg 1912] Bd. 3, S. 148, Anm. 5) das Wort im Anschluss an C. Schenkl (S. Ambrosii opp. 1, Vindob. 1897, Praef. I) ↩
-
Was ihn an diesem Tage an einer Abendhomilie hinderte, Erschöpfung, Unpäßlichkeit - krank war ja Basilius viel (epist. 208) - oder anderweitiger Umstand, ist nirgends vermerkt. ↩
-
Auch Ambrosius bot sein „Hexaemeron” auf sechs Tage verteilt. ↩
-
Auch Hieronymus (de vir. ill. c. 116) und Cassiodor (Inst. div. lit. c. 1) kannten nur 9 Homilien, und Sokrates (hist. eccl. IV, 26) bezeugt ausdrücklich, daß Gregor (Nyssenus) das Werk des Basilius vollendet habe. ↩
-
Vgl. Maran, Vita S. Basilii c. XLI. 8; Migne PG. XXIX, p. CLX1Ü, und Garnier, Präf. I; ibid. p. CLXXXI sqq. - Wittig glaubte, wenigstens „die Einleitung und wesentliche Bestandteile” der ersten Rede als echt beurteilen und verwerten zu können (Leben, Lebensweisheit und Lebenskunde des hl. Metropoliten Basilius d. Gr. von Cäsarea, in der „Ehrengabe Deutscher Wissenschaft”, hrsg. von Franz Keßler. Freiburg 1920, S. 635). Zustimmung wird er wohl kaum finden. Auch wenn die beiden Reden „de hominis structura” nur als „unvollständige Ergänzungsversuche” zu gelten haben, als Basiliusgut wären sie doch zu bedeutsam gewesen, als daß Gregor v. Nyssa und auch Ambrosius ganz davon abgesehen hätten. ↩
-
vgl. Maran, 1. c. XLI, 2; MPG XXIX p. CLXII ↩
-
Seine 17 Bücher „de natura animalium” entstanden in den letzten Jahrzehnten des zweiten Jahrhunderts. ↩
-
Er schrieb sein Lehrgedicht „vom Fischfänge” (de piscatione) in 5 Büchern dem Kaiser Mark Aurel und dessem Sohne Commodus zur Widmung. ↩
-
Die drei Kappadozier (in: Die Kirche Christi und ihre Zeugen, 2. Aufl. VII, 1; Stuttgart 1875), S. 61. ↩
-
Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft (Gütersloh 1877), Bd. I, S. 187. ↩