IX. (Mauriner-Ausgabe Nr. 14) An Gregor1, seinen Freund2
S. 47 Inhalt: Basilius teilt Gregor mit, daß er nicht länger auf seine Ankunft habe warten können und in seine Einsamkeit im Pontus sich zurückgezogen habe (c. 1). Im 2. Kapitel gibt er eine anschauliche Beschreibung seiner landschaftlich reizenden Einsiedelei. — Geschrieben ist der Brief nach 360, ehe Basilius Priester war.
1. Obschon mein Bruder Gregor3 mir schrieb, er wolle schon längst mit mir zusammenkommen, und beifügte, daß auch Du mit dem gleichen Plane Dich tragest, so konnte ich doch nicht warten. Denn einerseits sah ich mich schon oft getäuscht und bin deshalb schwergläubig geworden; anderseits nehmen die Geschäfte mich zu sehr in Anspruch. Ich mußte jetzt in den Pontus abreisen, wo ich vielleicht einmal, so Gott will, das Ende meiner Irrfahrt zu sehen bekomme. Denn da ich endlich einmal die leeren Hoffnungen aufgegeben habe, die ich einst auf dich setzte, bzw. die Träume, um mich richtiger auszudrücken — ich lobe mir nämlich den, der gesagt hat, die Hoffnungen seien Träume der Wachenden —, so begab ich mich nach dem Pontus, um dort einen Aufenthaltsort zu suchen. Dort hat mich Gott einen Ort finden lassen, der genau zu meiner Lebensweise paßt. So sehe ich einen Ort vor mir in Wirklichkeit, wie wir ihn uns bei Muße und im Scherze oft vorzumalen pflegten.
2. Ein hoher Berg ist da, mit dichtem Wald bedeckt, gegen Norden von kaltem und klarem Wasser bewässert. S. 48 Unten am Fuße des Berges breitet sich eine flache Ebene aus, immer fruchtbar infolge der Feuchtigkeit des Berges. Der sie umgebende Urwald mit den verschiedenen und mannigfaltigen Bäumen dient ihr fast gar als Zaun, so daß im Vergleich zu ihr sogar die Insel der Kalypso, die Homer wegen ihrer Schönheit mehr als alle Inseln bewunderte, unansehnlich erscheint. Ja, es fehlt auch gar nicht viel, so ist die Ebene eine Insel, weil sie auf allen Seiten mit Schutzwehren umgeben ist. Tiefe Schluchten schneiden die Einöde auf zwei Seiten von der Umgebung ab. Auf der anderen Seite bildet der Fluß, wo er schäumend vom Berge herabstürzt, auch eine fortlaufende und schwer zu ersteigende Mauer. Ein Bergrücken, der mit seinen sichelförmigen Einsenkungen an die Schluchten sich anschließt, sperrt den Pfad am Fuße des Berges. Es gibt nur einen Zugang, über den wir Herr sind. Unsere Hütte trägt ein anderer Bergsattel mit einem etwas erhabenen Plateau davor, so daß man die erwähnte Ebene unten vor seinen Augen liegen sieht und von oben herab auch den Fluß ringsum überschauen kann. Dieser bietet, wie wenigstens mir scheint, nicht weniger Genuß als der Strymon, von Amphipolis4 aus betrachtet. Denn dieser erweitert sich bei seinem zu langsamen Laufe beinahe zu einem See; ja bei seiner Trägheit ist er eigentlich kein Fluß mehr. Der Fluß meiner Einöde aber, reißender als irgendeiner, den ich kenne, bricht sich an der vorspringenden Felswand und wälzt sich schäumend in den Abgrund. Einen wundervollen Anblick gewährt er mir und jedem, der ihn sieht, und überreichen Nutzen den Anwohnern, da er in seinen Wirbeln eine unsagbar große Menge Fische nährt. Was soll ich reden von den Ausdünstungen der Erde oder von den kühlen Lüften, die vom Wasserspiegel aufsteigen? Die Menge der Blumen oder der Singvögel mag ein anderer bewundern; ich habe nicht Muße, darauf zu achten. Als höchsten Vorzug haben wir aber der Gegend nachzurühmen, daß sie dank ihrer günstigen Lage nicht nur alle möglichen Früchte hervorbringt, sondern die mir von allen Früchten süßeste erzeugt, die Ruhe. Denn S. 49 nicht nur dem städtischen Lärm ist sie fern, sondern sie schickt uns auch keinen Wanderer zu außer denen, die auf der Jagd zu uns stoßen. Zu allem hin ist unsere Wildnis reich an Wild, nicht an Bären oder Wölfen, wie sie bei euch hausen — entfernt nicht! —, sondern sie nährt Herden von Hirschen und wilden Ziegen, Hasen und dergleichen. Merkst Du nun nicht, welch große Gefahr ich Tor lief, da ich eine solche Gegend mit der Tiberina5, der Kloake des Erdkreises, vertauschen wollte? Du wirst es mir verzeihen, wenn es mich jetzt dahin drängt. Wahrlich, auch Alkmäon hatte die Wanderung satt, da er die Echinaden gefunden6.
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Von Nazianz. ↩
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Alex. von Humboldt, der „eine besondere Vorliebe für Basilius den Großen“ hatte und dessen Naturschilderungen rühmt, gab eine freie Übersetzung dieses Briefes (Kosmos II. Stuttgart 1847. S. 27 ff.). ↩
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Von Nyssa. ↩
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Fluß und Stadt in Mazedonien. ↩
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Eine unwirtliche Einöde in Kappadozien, unweit der die Heimatstadt Gregors von Nazianz, Arianz, lag. Vgl. Gregor v. Naz., ep. 2. ↩
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Alkmäon, Anführer der Epigonen gegen Theben und von der Rachegöttin verfolgt, kam erst zur Ruhe auf den vom Acheloos angeschwemmten Düneninseln, den Echinaden. — „Die dichterisch-mythische Anspielung am Ende des Briefes klingt wie eine Stimme, die aus einer andern, früheren Welt in die christliche herüberschallt” (A. v. Humboldt, a. a. O. S. 29). ↩