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Das Ereignis erforderte zwar unsere persönliche Gegenwart, einerseits um dem Seligen mit Euch, den nächsten Angehörigen, die letzte Ehre zu erweisen, anderseits um als persönlicher Zeuge der (nunmehr) mißlichen Lage an Eurer Trauer ob des Verlustes teilzunehmen, und um bei den notwendigen Beratungen1 mit dabei zu sein. Da aber so manches mein persönliches Erscheinen verhinderte, so blieb nur übrig, schriftlich mit Euch in der augenblicklichen Angelegenheit in Verbindung zu treten.
Die erstaunlichen Eigenschaften des Mannes, derentwegen wir seinen Verlust für uns besonders unerträglich finden, lassen sich im Rahmen eines Briefes nicht zusammenfassen. Anderseits ist es auch nicht die richtige Stunde, auf seine vielen Vorzüge einzugehen, wo doch unsere Seele von tiefer Trauer befallen ist. Wo wäre denn etwas an ihm, das Eurem Gedächtnis entschwinden könnte oder mit Recht verschwiegen werden dürfte? Alles zugleich und auf einmal zu sagen, ist ein Ding der S. 64 Unmöglichkeit, aber nur von der einen oder anderen Seite zu sprechen fürchte ich bald als Preisgabe der Wahrheit. Von uns schied ein Mann, der unbestritten alle seine Zeitgenossen an allen menschlichen Vorzügen überragte, eine Stütze des Vaterlandes, eine Zierde der Gemeinden, eine Säule und Grundfeste der Wahrheit, ein Pfeiler des christlichen Glaubens, ein Schirm den Seinigen war, unbesieglich seinen Feinden, ein Hüter väterlicher Sitten, ein Feind von Neuerungen, der in sich selbst die altehrwürdige Gestalt der Kirche verkörperte und gleichsam nach dem altehrwürdigen Zustand wie nach einem heiligen Bilde die Form der ihm anvertrauten Gemeinde gestaltete, so daß seine Zeitgenossen mit denen zu leben schienen, die vor mehr als zwei Jahrhunderten als Licht leuchteten. So hat der Mann nichts aus seinem Kopf geschaffen, keine Erfindung eines Modernisten hervorgebracht. Aber er wußte laut dem Segen des Moses aus den Gründen seines Herzens, dem Schrein guter Schätze, Altes wie Neues und Neues wie Altes vorzutragen. Deshalb würdigte man ihn des Vorsitzes bei den Versammlungen seiner Amtsgenossen; nicht des Alters wegen, sondern weil er alle an Einsicht übertraf, bekam er mit allgemeiner Zustimmung den Vorsitz. Den großen Gewinn, der in solcher Leitung liegt, wird niemand bestreiten, der auf Euch hinsieht. Denn Ihr allein habt, soviel wir wissen, oder doch mit sehr wenigen Ausnahmen, in einem solchen Wetter und Sturm unter seiner Leitung ein ruhiges Leben gehabt. Euch hat die Brandung häretischer Stürme nicht berührt, die den wankelmütigen Seelen Untergang und Schiffbruch bringen. Und möge sie auch nie Euch berühren, o Herr aller Dinge, der du deinem Diener Gregor2, der die erste Grundlage für die Gemeinde geschaffen, auch auf lange hinaus die Gnade der Ruhe gewährt hast. Gebt Ihr sie nicht preis im gegenwärtigen Augenblick, und werdet nicht im Übermaß der Tränen und in völliger Hingabe an die Trauer ein Opfer derer, die Eure Notlage ausnützen wollen. Doch wenn Ihr auf jeden Fall trauern müßt — ich meine aber dann nicht so, daß wir hierin denen gleichen, die S. 65 keine Hoffnung haben3 —, so sollt Ihr, wenn es Euch beliebt, wie ein Trauerchor Euch einen Führer wählen und mit ihm gelassener das Unglück beweinen.