1. Aufbau und Zweck der KG des Eusebius1
S. 7Die wertvollste Quelle für die älteste Geschichte des Christentums ist die KG des Eusebius; ohne sie wüßten wir von der alten Kirche herzlich wenig. So wie diese KG uns aber heute vorliegt, war sie von ihrem Verfasser anfänglich nicht geplant. Jetzt umfaßt dieselbe zehn Bücher. Die letzten Bücher jedoch wurden von ihm erst später beigefügt. Wie Eusebius selbst als Kirchenhistoriker, so hatte auch sein bedeutendstes Werk eine geschichtliche Entwicklung durchzumachen.
Nach Ed. Schwartz, dem neuesten Herausgeber des griechischen Textes von Eusebius’ Kirchengeschichte, wurde diese zwischen den ersten Tagen des Jahres 312 und dem Sturze des Maximinus im Sommer 313 in acht Büchern veröffentlicht. Nach dem Siege des Licinius über Maximinus wurde Eusebius von diesem Ereignis „dazu fortgerissen, seinem wohlgefügten und wohlabgerundeten Werke in einer zweiten Ausgabe eine Fortsetzung anzuhängen“, nämlich das neunte Buch. Diese neue, 315 erschienene Ausgabe „wurde gekrönt durch die jetzt X 5-7 stehende Urkundensammlung; sie war das neue Gegenstück zu dem Toleranzedikt, das in der ersten Ausgabe das Ganze abschloß“. Die dritte Ausgabe, welche die Kirchengeschichte auf zehn Bücher brachte, wurde durch die Einweihung der Kirche in Tyrus und durch den Tod Diokletians veranlaßt und ist ins Jahr 317 zu setzen. Die vierte Ausgabe steht unter dem Einfluß des großen Umschwunges von 323, in wel-S. 8chem Jahre Konstantin nach Besiegung des Licinius die Alleinherrschaft übernommen hatte. 2
Ähnlich urteilen Lawlor und Oulton, 3 die neuesten englischen Übersetzer von Eusebs Kirchengeschichte. Nach ihnen begann zwar Eusebius bereits 305 mit der Niederschrift seines Werkes, veröffentlichte aber die erste Ausgabe, d. i. die Bücher I-VIII, im Jahre 311. Zwei Jahre später revidierte er den Text dieser acht Bücher und fügte ihnen ein weiteres Buch bei. Dieser zweiten Ausgabe folgte eine dritte Ausgabe, in welcher das von neuem revidierte Werk um das zehnte Buch erweitert wurde. 4
Von den Studien des um die Eusebiusforschung verdienten Schwartz ausgehend, untersuchte R. Laqueur in seinem Buche „Eusebius als Historiker seiner Zeit“ 5 von neuem in gründlichster Arbeit den Aufbau der KG des Eusebius. Durch diese äußerst mühsame und schwierige philologische Forschung hat Laqueur sich unbestreitbar größtes Verdienst um das richtige Verständnis des Eusebius und seiner KG erworben. Nach Laqueur hatte Eusebius schon vor 303 dem gelehrten Publikum eine KG in sieben Büchern vorgelegt, die sich im wesentlichen mit den ersten sieben Büchern des uns überlieferten Werkes deckt. Diese erste Ausgabe erfolgte ziemlich gleichzeitig mit der ersten Niederschrift der Chronik Eusebs. 6 Von neuem zwang das große Erlebnis der 303 einsetzenden Christenverfolgung Eusebius die Feder in die Hand; es führte zum ersten Umbruch im Aufbau des Ganzen. 311 entschloß er sich, in dem nun seinem Werke beigefügten achten Buche eine Geschichte dieser Verfol-S. 9gung zu geben. Die Schilderung dieses Buches, die keine Kenntnis der wirklichen Zusammenhänge zeigt, ist dürftig und beruht nur auf einigen persönlichen Erlebnissen und auf Erkundungen, welche sich angesichts der schweren Krisen nur auf einen kleinen Umkreis beschränkten. Der dem achten Buche beigefügte „Anhang“ gibt eine kurze Erzählung der Ereignisse von 311-313. Als im Jahre 313 Friede eintrat und Eusebius nun Gelegenheit hatte, sich eingehender über die Ereignisse der vergangenen Jahre zu unterrichten, gestaltete er die Verfolgungsgeschichte des achten Buches von Grund aus um. Die Darstellung der selbstgeschauten Martyrien, die er 311 hier geboten hatte, entfernte er aus der KG und rundete sie allmählich in einer selbständigen Schrift zu dem Thema der Märtyrer von Palästina um. 7 An Stelle dieser früheren Darstellung trat nun im achten Buche ein Bericht von Martyrien aus verschiedenen Gegenden, der nicht mehr wie zuerst chronologisch, sondern lokal geordnet wurde. Nachdem Eusebius weiteres Material über die Geschichte seiner Zeit zugeflossen war, verteilte er nach 317 den bisher im achten Buche zusammengefaßten Stoff auf das achte und neunte Buch, während für die Tyrische Festpredigt das zehnte Buch bereitstehen sollte. Die letzten Ergänzungen machte Eusebius nach 323, nach dem siegreichen Kampfe Konstantins gegen Licinius.
In den schon in der ersten Ausgabe erschienenen Büchern behandelt Eusebius folgende Themata: die Abfolge der Bischöfe in den hervorragendsten Gemeinden, die christlichen Lehrer, die Häretiker, die Strafen für die Christenfeinde, die Verfolgungen der Christen durch die Heiden, die Martyrien. Es wird aber nicht jedes dieser Themata abgeschlossen für sich in seiner Entwicklung während der drei christlichen Jahrhunderte behandelt. Dieselben werden vielmehr in gewissen Rubriken gegeben, d. h, im Anschluß an die Kaiserregierungen besprochen, wobei natürlich je nach den Zeitläuften bald dieses, bald jenes Thema mehr in den Vordergrund tritt oder auch ganz ausfällt. Nicht die Bischofsregierungen, auch S. 10 nicht die römischen, sondern die Kaiserregierungen bilden den Leitfaden für den gesamten Erzählungsstoff. Die Bischofsregierungen „sind nicht die Dynastien, deren Zeiten von den berichteten Ereignissen ausgefüllt werden, sondern sie selbst sind auf die Kaiserregierungen chronologisch zurückgeführt .... Auch in solchen Fällen, wo Eusebius aus älteren Quellen Datierungen nach Bischofsregierungen überliefert erhalten hat, ist er bemüht gewesen, sie nach Kaiserregierungen zu bestimmen, selbst wenn die Bischofsregierung ein genaueres Datum ergab als die Kaiserregierung“. 8 Die Anordnung des Stoffes innerhalb einer Kaiserregierung ist nur in besonderen und seltenen Fällen für chronologisch zu halten. Da Eusebius nach Kaiserjahren rechnete, ließ er die Zählung nach Olympiaden völlig beiseite, obwohl er chronologische, nach Olympiaden zählende Tabellen benutzte. Wer wissen wollte, in welchen Olympiadenjahren die Kaiser regierten, fand in der Chronik des Eusebius, was er brauchte. In der chronologischen Verwertung der Kaiserregierungen war ihm jedenfalls Julius Afrikanus ein Vorbild; 9 doch ist zu bezweifeln, ob er das Fundament seines Systems, die Kaiserliste bis Karakalla, einfach aus Afrikanus herübergenommen hat. Die Arbeiten, in denen Eusebius die Überlieferungen der alten Kirche sammelte und ordnete, sowohl die Chronik als auch die ersten sieben Bücher der KG, wurzeln letzten Endes in der alexandrinischen Philologie, welche durch Eratosthenes und Apollodor die wissenschaftliche Chronographie geschaffen hatte; mit den Werken dieser Männer mag er auf dem Wege über Pamphilus und Origenes bekannt geworden sein.
Das Thema, das in den ersten sieben Büchern bei jeder Kaiserregierung von Eusebius mit Vorliebe behandelt wurde, war die Sukzession der Bischöfe. Um die ununterbrochene kirchliche Tradition darzutun, gibt er S. 11 vier Bischofsreihen in kontinuierlicher Folge, nämlich die von Rom, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem. Die jerusalemische und antiochenische Bischofsliste weist nur die Namen der Bischöfe auf, ohne die Zahlen der Amtsdauer anzugeben. Bezüglich der römischen und alexandrinischen Bischöfe jedoch werden die Jahre der Amtsdauer, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, durchweg angegeben. Aber auffallenderweise wird nur bei den früheren römischen und alexandrinischen Bischöfen vermerkt, in welchem Jahre des jeweiligen Kaisers sie den bischöflichen Stuhl bestiegen hatten. Diese Differenz zwischen den älteren und jüngeren Teilen der römischen und alexandrinischen Liste beruht darauf, daß der von Eusebius benützte christliche Chronograph bereits unter Kaiser Elagabal sein Werk abgeschlossen hatte. Dieser Chronograph aber war Julius Afrikanus. 10
Während Eusebius in den zuerst herausgegebenen sieben Büchern seiner KG die geplanten Themata in den angegebenen Rubriken behandelte, bietet er in den später folgenden Büchern VIII—X eine Schilderung der Gegenwart, welche mit diesen Rubriken nichts zu tun hat. Obwohl der Schriftsteller hier als Zeitgenosse schreibt, ist seine Darstellung nicht immer so sicher und bestimmt wie in der Schilderung der vor ihm gelegenen Zeiten. Er schwankt da und dort und muß sich verbessern, so z. B. bezüglich des Todes von Maximinus Daza, bezüglich der von ihm erregten Christenverfolgung. Auffallend ist, daß Eusebius in solchen Fällen jedoch nicht auf Grund der besseren Belehrung die unrichtige frühere Darstellung immer streicht, sondern die ältere, unrichtige Schilderung neben dem neuen, besseren Berichte auch noch stehen läßt. „Das in Wahrheit Auffallende, ja für uns Unerklärliche liegt darin, daß Euseb die durch die Entwicklung seiner Arbeit veralteten Teile nicht zerrissen und dadurch sein Werk auf einen einheitlichen Stand gebracht hat.“ 11
Getrübt erscheint die historische Objektivität des S. 12 Eusebius, wo er zur Geschichte des Kaisers Konstantin kommt. Hier wird er in weitem Ausmaße zum Panegyriker, der das Bild des ersten christlichen Kaisers in den leuchtendsten Farben malt, ohne darein die bedenklichen Schatten einzutragen, mit denen sein Leben und seine Politik behaftet waren. Insbesondere hat er zu wenig betont, vielleicht auch zu wenig erkannt, daß Konstantin, dessen christliche Gesinnung im übrigen außer Zweifel steht, die Kirche durch ihre Privilegierung mehr und mehr völlig in das autonome System seiner Reichspolitik eingefügt hat als eine der wichtigsten Grundlagen der Reichseinheit.
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Bezüglich der Lebensgeschichte des Eusebius von Cäsarea vgl. die allgemeine Einleitung von A. Bigelmair zum ersten Eusebiusbande der „Bibliothek der Kirchenväter“. ↩
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E. Schwartz im Einleitungsband seiner Eusebiusausgabe (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte IX 3 Leipzig 1909) S. XLVII-LXI. ↩
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H. J. Lawlor and J. E. L. Oulton, “Eusebius, Bishop of Caesarea” I (London 1927); II (1928). ↩
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Ebd. II 2-11. ↩
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Berlin und Leipzig 1929. ↩
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Erhalten in armenischer und lateinischer Übersetzung. Eine deutsche Übersetzung aus dem Armenischen gibt J. Karst in dem 5. Eusebiusbande der griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte (Leipzig 1911). ↩
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Herausgegeben von E. Schwartz im 2. Eusebiusbande der erwähnten Sammlung (Leipzig 1908) S. 907—950. ↩
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A. v. Harnack, „Die Chronologie der altchristlichen Literatur bis Eusebius“ I (Leipzig 1897) S, 19. ↩
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Die für Eusebius wichtigen Daten der alexandrinischen Überlieferung über Origenes und Dionysius waren bereits in Kaiserjahren ausgedrückt, allerdings in anderen als denen des Afrikanus. ↩
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Harnack a. a. O. S. 112-143; Schwarte, Einleitung zu Eusebius S. CCXV— CCXLVIII; Lawlor-Oulton a. a. O. II S. 37—46. ↩
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Laqueur a. a. O. S. 222. ↩