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1 Zu diesem Ende behielt er auch die Wundmale der Nägel und den Lanzenstich bei und wollte sie nicht auslöschen, obschon er bei verschlossenen Türen eintrat2 . Denn sein fleischlicher Leib stand ja als ein geistiger auf, war aber dabei kein anderer als der frühere; nur ging dieser, mit der Gottheit verbunden, in eine gewisse geistige Feinheit über. Denn wäre jene Feinheit nicht eine geistige gewesen, wie klein müßte da der Leib gewesen sei, um durch eitle Türritze erscheinen zu S. 143können? Er wollte uns also zeigen, daß „dieser unser verweslicher Leib die Unverweslichkeit sich anziehe“3 ; denn wenn er auch sterblich ist, so zieht er doch die Unsterblichkeit an. Darum erschien er bei verschlossenen Türen, um uns zu belehren, daß das Grobmaterielle zart und fein, das Sterbliche unsterblich, das Verwesliche unverweslich werde. Um aber alle diejenigen, welche an unser Heil, ich meine die Auferstehung, nicht glauben, zu widerlegen, behielt er auch, nachdem er den Leib in einen geistig feinen umgewandelt und die Auferstehung [= den Auferstehungsleib] mit dem Geiste eng verbunden hatte, die Wundmale der Nägel und die Seitenwunde bei und belehrte uns so, daß der Leib, welcher auferstanden ist, identisch sei mit dem, welcher am Kreuze gelitten, daß aus demselben kein anderer geworden, sondern daß nur eben der Leib, welcher früher gelitten, jetzt leidensunfähig sei, und eben das Samenkorn, welches in die Erde gelegt worden war, auferstanden sei, und zwar als ein unverwesliches. Damit wir ferner ja nicht glauben, daß nur ein Teil von ihm auferweckt worden sei, [sondern vielmehr erkennen,] daß der ganze Leib die Verwesung nicht geschaut hat — denn es heißt: "du wirst deinen Heiligen nicht schauen lassen die Verwesung„4 —, und daß er ganz auferstanden ist, so sagt die Schrift: "Er ist auferstanden; er ist nicht hier.“ Der Heiland ist also wahrhaftig auferstanden und nicht betrügen uns die Schriften, die unser Leben und unser Heil sind. Und damit die Betrogenen [die nach c. 89 selbst Betrüger sind] ja keine Ausflucht finden, so zeigte er Fleisch und Bein dem Thomas und sprach zu seinen Jüngern: „Sehet mich, daß ich es bin; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Gebein, wie ihr es mich haben seht“5 .
