Einleitung
S. 7 Unter den vom heiligen Chrysostomus zu Antiochien gehaltenen Homilien genoßen die vorliegenden von jeher einer ganz besondern Auszeichnung, und zwar nicht nur auf Grund des denkwürdigen Ereignisses, mit welchem sie in Verbindung stehen, sondern ebensosehr, ja noch mehr um des Zeugnisses willen, welches sie von der Genialität ihres Urhebers auf die glänzendste Weise ablegen. Alle Historiker und Annalisten, welche des antiochenischen Aufruhres gedenken, legen auch auf das Grab des heiligen Chrysostomus ein Lorbeerreis nieder. Die Veranlassung zu dem erwähnten Aufruhr gab eine ungewöhnlich schwere Steuer, mit welcher Kaiser Theodosius das durch die fortwährenden Kriege und die vielfachen Opfer, welche dieselben erheischten, ohnehin erschöpfte Land belegte, theils um die Kosten zu decken, welcke die Quinquennalien des Arkadius, verbunden mit des Kaisers eigenen Dezennalien, 1verursachten, theils um den gegen den herrschsüchtigen Tyrannen Maximus bevorstehenden Krieg führen zu können. — S. 8
Am 26. Februar 387 wurde das kaiserliche Reskript vom Statthalter Syriens dem in großer Menge versammelten Volke vorgelesen. Chrysostomus selbst schildert den ersten Eindruck dieses Ediktes und seiner Publikation auf die Antiochener mit folgenden wenigen aber umfassenden Zügen: 2 „Als das Schreiben, welches jene unerschwinglich scheinende Steuer gebot, vom Kaiser 3 ankam, da geriethen Alle in Bewegung, da haderten Alle, waren verstimmt, murrten, gingen zu einander hin, und wieder Andere sprachen: Das ist ein unerträgliches Leben, unsere Stadt ist zu Grunde gerichtet, Niemand kann die Höhe dieser Abgabe erschwingen, und es waren Alle außer sich, als ob sie die äusserste Gefahr liefen.” Nun begann unter der Volksmenge ein wilder, unruhiger Geist sein grauenvolles Spiel; Chrysostomus bemerkt aber wiederholt, daß keineswegs die ganze Stadt oder auch nur ein bedeutender Theil derselben in den nun erfolgenden Aufruhr verflochten war; vielmehr gehörten die Anstifter und überhaupt die thätigen Theilnehmer an letzterem nicht einmal der antiochenischen Bürger- und Einwohnerschaft an. „Siehe,” sagt der Heilige, „das Verbrechen ist die That Weniger, die Anklage trifft das Ganze;” und dann: „Ich weiß, daß von Alters her edle Sitte in dieser Stadt herrscht; aber fremde, und zusammengelaufene Menschen, verworfenes Gesindel, das seiner Seelen Seligkeit längst aufgegeben — sie haben das Äusserste gewagt.” 4 Der Aufruhr ging von einem Punkte aus: zuerst Geschrei und Getümmel und der Ruf: „Zum Bischof Flavian” — um diesen durch Bitten und Drohungen zur Verwendung beim Kaiser zu vermögen. Unglücklicher Weise traf man den ehrwürdigen Bischof nicht in seiner Wohnung. Sofort kehrte man in immer wachsender Anzahl auf demselben Wege wieder S. 9 υm und begann, durch dieses Fehlschlagen des letzten Hilfeversuchs erbittert, in Verwünschungen und Schmähreden gegen den Kaiser und seine Beamten auszubrechen. Hiemit war die Schranke der Unterwürfigkeit und des Gehorsams durchbrochen und überschritten; der Satan hatte die überwältigten Seelen in seiner Macht, und der Strom des Bösen schoß unaufhaltsam und mit reissender Geschwindigkeit hervor. Die Rotte zog nun durch die Straßen, zerschmetterte sämmtliche Straßenlaternen, verwüstete die Badeanstalten und die öffentlichen Werkstätten. Den Statthalter schützten nur die mächtigen Thüren seiner Behausung. Den Gipfelpunkt erreichte die wahnsinnige Leidenschaft des tollen Haufens, als sie die Person des Kaisers selbst in den an allen öffentlichen Orten der Stadt angebrachten Schildern und Bildnissen des Monarchen anzutasten und zu verhöhnen wagte; ja sie stürmte sogar auf den Marktplatz, stürzte die erzenen Standbilder des Kaisers, der verstorbenen Kaiserin Flacilla, sowie die seines Vaters und seiner zwei Söhne Arkadius und Honorius um, zerschlug sie, soweit man's vermochte, und schleifte die Trümmer unter höllischem Gejauchze auf dem Markte und durch die Straßen umher. Nun versah sich die Rotte mit Fackeln und Brennmaterial, um die Beamtenwohnungen und öffentlichen Gebäude in Feuer aufgehen zu lassen. Schon hatte das Haus eines vornehmen Antiocheners gezündet, während die rathlosen Bewohner vom Dache herab Ziegelsteine auf die Brandstifter schleuderten, nicht ohne mehrere zu verwunden: als lötzlich die Stadtmiliz erschien, vor deren Pfeilwürfen der eben noch so muthige und verwegene Haufe in panischem Schrecken, wie Spreu vor dem Winde auseinander stob.
Kaum waren die Stimmen des Aufruhrs verhallt und die betäubten Gemüther der Überlegung fähig geworden, als das Bewußtsein der Schuld und die Aussicht auf die Folgen des Geschehenen die gesammte Einwohnerschaft mit einer Furcht erfüllte, die in kurzer Frist zur kopflosen Angst anwuchs und endlich in die hellen Flammen der wildesten Verzweiflung ausbrach. Ein Majestätsverbrechen war be- S. 10 gangen und der Kaiser auf eine bis dahin kaum erhörte Weise beleidigt. — Die Sache wurde auch gleich nach Konstantinopel berichtet und in Antiochien selber sofort eine strenge Untersuchung eingeleitet.
Da war es nun, daß Chrysostomus seine berühmten „Säulen-Homilien” an die zwischen Furcht und Hoffnung schwebenden Antiochener hielt, bald tröstend, bald mahnend, wie es eben die Umstände geboten. Diese Homilien sind, wie alle Predigten unseres Heiligen, helle Spiegel, welche das Bild des jeweiligen kirchlichen und oft auch bürgerlichen und politischen Zustandes der Gemeinde in reichen Zügen zurückstrahlen.
Den kurzen Inhalt der einzelnen Homilien werden wir jeder derselben vorausschicken.
Von den vorhandenen deutschen Übersetzungen benutzten wir die alte von P. Vital Mösl. Augsburg 1781, und die von Friedrich W. Wagner in Halle — Wien 1838, welche leider nur die acht ersten Homilien umfaßt; vergleiche auch Lutz und Hefele.
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Das Donativum, später auch Augustaticum genannt, welches dem Heere von den Augusten gleich nach ihrer Proklamation und dann in der Regel von fünf zu fünf Jahren verabreicht wurde, bestand nach Balesius (not. ad Ammian. Marcell. ed. pr. p. 314) in fünf Aureis für jeden Soldaten. Erst Kaiser Justnian schaffte diese Sitte ab. ↩
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Fünfte Homilie über die Bildsäulen K. 3 Mitte. ↩
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Βασιλεύς, bei den Griechen vorzugsweise Bezeichnung des römischen Kaisers. ↩
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Zweite Homilie über die Bildsäulen K. 3 gegen Ende. ↩