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V. 6: „Wenn aber durch Gnade, so nicht infolge der Werke, weil ja sonst Gnade nicht mehr Gnade ist. Wenn aber infolge der Werke, dann ist es nicht Gnade weil sonst ja das Werk nicht mehr Werk ist“ 1
.— Wieder setzt Paulus dem Eigensinn der Juden zu und schneidet jede Entschuldigung ab, die sie etwa dem bisher Gesagten gegenüber vorbringen könnten. Ihr könnt, will er sagen, nicht einwenden: Ja, die Propheten haben uns zwar gerufen, Gott hat uns eingeladen, die Tatsachen selbst haben gerufen, die Eifersucht war dazu angetan, uns zu locken; aber das Anbefohlene war zu schwer, und darum konnten wir nicht Folge leisten. Es wurde von uns verlangt, Werke aufzuweisen und mühevolle gute Taten zu vollbringen. — Nein, das kann man nicht sagen. Wie hätte Gott so etwas von euch verlangen sollen, da ja dadurch ein Schatten auf seine Gnade gefallen wäre? Das sagt der Apostel aber, um zu zeigen, daß Gott den sehnlichsten Wunsch hatte, sie zu retten. Er machte ihnen ihre Rettung nicht bloß leicht, sondern er legte dabei auch seine Menschenliebe an den Tag, was für ihn die größte Verherrlichung ist. S. d85 Was konnte dich also noch abschrecken, dem Rufe Gottes Folge zu leisten, da ja doch keine Werke von dir verlangt wurden? Warum weigerst du dich eigensinnig und kommst mir ohne Sinn und ohne Zweck immer wieder mit dem Gesetz, da dir ja doch die Gnade zu Gebote steht? Durch jenes wirst du nicht das Heil erlangen, und dieses Geschenk läßt du dir verloren gehen. Denn wenn du eigensinnig darauf bestehst, gerade durch das Gesetz das Heil zu erlangen, so lehnst du die Gnade Gottes ab. Damit sie ferner nicht meinen, daß das Heil aus Gnade etwas ganz Unerhörtes sei, hält er ihnen das Beispiel jener siebentausend vor, die ja auch durch Gnade gerettet worden seien. Denn wenn er sagt: „So ist auch in der Jetztzeit ein Reststamm geblieben zufolge der Gnadenwahl“, meint er damit doch, daß auch jene durch Gnade gerettet worden seien. Doch nicht bloß durch diesen Satz, sondern auch durch den Ausdruck: „Ich habe mir sie aufgespart“ bringt der Apostel dies zum Ausdruck. Daraus ist nämlich ersichtlich, daß den größeren Teil Gott zur Rettung (jener siebentausend) beigetragen hat. — Wenn aber das Heil aus Gnade zuteil wird, könnte jemand einwenden, warum erlangen es dann nicht alle? — Weil ihr nicht wollt. Die Gnade nämlich, eben weil sie Gnade (nicht Zwang) ist, bringt nur solchen Rettung, welche sie wollen, nicht aber solchen, welche sie nicht wollen, sie zurückweisen, gegen sie ankämpfen und ihr immerfort widerstehen.
Siehst du, wie der Apostel den ganzen Beweis auf den Satz hinausführt: „Es ist nicht möglich, daß Gottes Wort unerfüllt bleibe“? Er zeigt, daß die Heilsbotschaft nur an die Würdigen ergeht, und daß diese, wenn sie auch wenige an Zahl sind, doch das Volk Gottes ausmachen können. Mit mehr Nachdruck hat er dasselbe in der Einleitung dieses Briefes ausgesprochen, wenn er sagt: „Was macht es, daß manche den Glauben nicht angenommen haben?“; ja er gibt sich damit noch nicht zufrieden, sondern fährt fort: „Gott muß wahrhaft sein, jeder Mensch aber ein Lügner.“ Und nun führt er den Beweis für dieselbe Wahrheit von einer andern Seite. Er legt die Kraft der Gnade dar und zeigt, daß es im- S. d86 mer so gewesen sei, daß die einen das Heil erlangten, die andern aber verloren gingen.
Sagen wir also Gott Dank, daß wir zu den Geretteten gehören und daß wir, die wir nicht auf Grund der Werke das Heil erlangen konnten, es auf Grund des Gnadengeschenkes Gottes erlangt haben! Laßt uns aber unsern Dank nicht bloß in Worten ausdrücken, sondern auch nur durch Werke und Taten! Das ist die höchste Art der Danksagung, wenn wir das tun, wodurch Gott verherrlicht werden will, und das meiden, wovon wir befreit worden sind. Wenn wir eine Majestätsbeleidigung begangen hätten, und wir wären dafür statt bestraft noch ausgezeichnet worden, und wir begingen dann wieder dieselbe Beleidigung, so verdienten wir doch wohl als höchst undankbare Menschen mit Recht die schwerste Strafe, jedenfalls eine viel größere als das erstemal. Denn die erste Beleidigung hätte nicht so sehr unsern Undank an den Tag gelegt als die zweite, die auf Auszeichnung und Liebeserweis erfolgt wäre. Fliehen wir also jene Sünden, von denen wir befreit worden sind, und sagen wir nicht bloß mit dem Munde Dank, damit nicht auch von uns die Klage gelte: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, ihr Herz aber ist weit entfernt von mir“ 2. Wie ungereimt ist es nicht, wenn der Himmel die Herrlichkeit Gottes verkündet, du aber, dessentwegen der Himmel geschaffen ist, Dinge begehst, durch welche du Gott, deinem Schöpfer, Schimpf antust? Darum ist nicht bloß der eigentliche Gotteslästerer strafwürdig, sondern (in diesem Falle) auch du. Der Himmel verherrlicht Gott nicht dadurch, daß er etwa seine Stimme erschallen läßt, sondern er bringt durch seinen Anblick andere dazu; in diesem Sinne heißt es, daß er die Herrlichkeit Gottes verkünde. So verherrlichen auch solche Menschen, die ein bewundernswertes Leben führen, Gott, wenn sie auch schweigen, indem andere durch sie dazu gebracht werden, ihn zu verherrlichen. Denn Gott wird nicht einmal durch den Himmel so sehr verherrlicht wie durch ein reines Leben. Wenn wir zu den Heiden reden, berufen wir uns nicht auf den S. d86 Himmel, sondern auf die Menschen, welche, ehedem schlimmer als wilde Tiere, nunmehr mit den Engeln um den Rang streiten. Mit dem Hinweis auf diese Umwandlung bringen wir sie zum Schweigen.