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Werke Johannes Chrysostomus (344-407) In epistula ad Romanos commentarius Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer (BKV)
EINUNDZWANZIGSTE HOMILIE: Kap. XII, V. 1—3.

3.

Diese beiden Dinge sind nämlich ein und dasselbe; was uns zum Wohle ist, will Gott, und was Gott will, das ist uns zum Wohle. Was ist nun das, was Gott will? Ein Leben in Armut, in Demut, in Verachtung weltlicher Ehre; in Mäßigkeit, nicht in Schwelgerei; in Mühsal, nicht in Ruhe; in Trauer, nicht in Ausgelassenheit und Lachen, und so in allen andern Dingen nach seinem Gebot. Aber die meisten Menschen halten diese Dinge für ein Unglück, so weit sind sie davon entfernt, sie für zuträglich und für Gottes Willen zu halten. Sie werden dann natürlich auch nicht entfernt dazu kommen, der Tugend wegen sich Mühen zu unterziehen. Wie sollen Leute imstande sein, sich von dieser Welt loszusagen, die nicht einmal wissen, was Tugend ist, sondern die statt ihrer das Laster bewundern und statt eines ehrbaren Weibes eine Hure zu sich nehmen? Darum ist es vor allen Dingen notwendig, daß unsere Ansicht über das sittliche Handeln seine Berichtigung erfahren habe; daß wir die Tugend anerkennen, wenn wir sie auch schon nicht üben, daß wir das Laster bei seinem Namen nennen, wenn wir es auch schon nicht fliehen, damit wir zunächst ein unverfälschtes Urteil besitzen. Dann können wir auf dem betretenen Wege weiterschreiten und zum Tun gelangen. Das ist der Sinn der Mahnung des Apostels, uns zu erneuern, „damit ihr prüfet, was der Wille Gottes sei“. Übrigens scheint es mir, daß der Apostel dabei auch den Juden einen Merks geben will, die an dem Gesetze festhielten. Wille Gottes war ja gewiß auch das Leben nach den Satzungen des Alten S. d128 Bundes, aber nicht im Sinn einer fortgeschrittenen Erkenntnis, sondern nur als Zugeständnis an ihre Schwäche. Das Vollkommene und das Wohlgefällige ist das Leben nach den Gesetzen des Neuen Bundes. Auch wenn der Apostel von einer „vernünftigen Gottesanbetung“ spricht, gebraucht er diesen Ausdruck, um die Gottesanbetung im Neuen Testament der im Alten gegenüberzustellen.

V. 3: „Kraft der mir verliehenen Gnade sage ich nämlich einem jeden, der zu euch gehört, nicht in seiner Meinung von sich über das hinauszugehen, was sich gehört, sondern maßvoll von sich zu denken, nach dem Maße des anvertrauten Gutes, wie es Gott einem jeden zugemessen hat.“

— Oben hat der Apostel gesagt: „Infolge der Erbarmungen ermahne ich euch“; hier sagt er wieder: „Kraft der Gnade“. Beachte dabei die Demut des Lehrers, beachte die geringe Meinung, die er für sich in Anspruch nimmt! Niemals führt er bei einer Mahnung oder einem Rat seine eigene Person allein als Gewährsmann an, sondern bald nimmt er die Erbarmungen Gottes, bald dessen Gnade zu Hilfe. Was ich sage, spricht er, ist nicht meine Rede, sondern die Gottes. Er sagt auch nicht: Ich spreche zu euch kraft der Weisheit Gottes, oder: ich spreche zu euch kraft der gesetzgebenden Gewalt Gottes, sondern: „kraft der Gnade“; er bringt nämlich immer die Wohltaten Gottes in Erinnerung, um in seinen Zuhörern auf diese Weise den dankbaren Sinn zu wecken und ihnen vor Augen zu halten, daß sie aus diesem Grunde seinen Worten Gehorsam schuldig seien. — „Einem jeden, der zu euch gehört“; nicht bloß dem oder jenem, sondern dem Oberen wie dem Untergebenen, dem Sklaven wie dem Freien, dem Ungebildeten wie dem Gebildeten, dem Weibe wie dem Manne, dem Jünglinge wie dem Greise. Allen gilt dieses Gebot, weil es vom Herrn kommt. Auf diese Weise nimmt der Apostel seiner Rede jeden Stachel, indem er seine Mahnworte an alle richtet, auch an die, welche sie nicht angehen, damit die, welche sie angehen, die Ermahnung und Zurechtweisung um so leichter aufnehmen. — Und was soll S. d129 es bedeuten, sprich, wenn du sagst: „Nicht in seiner Meinung von sich über das hinauszugehen, was sich gehört“? Der Apostel führt hier die Mutter des sittlich Guten auf, die Demut, und ahmt damit seinen (göttlichen) Lehrer nach. Auch dieser begann ja in seiner Bergpredigt, in der er die christliche Sittenlehre zur Darstellung bringen wollte, mit dieser Tugend und legte sie als Grundstein zu dem ganzen Bau, indem er sprach: „Selig sind die Armen im Geiste“ 1. So lehrt auch der Apostel, wenn er nun von den Glaubenslehren zur Anwendung auf die Sittenlehre übergeht, zunächst die Tugend im allgemeinen, indem er nämlich das wundervolle „Opfer“ von uns verlangt; wie er aber daran geht, sie im einzelnen zu beschreiben, beginnt er mit der Haupttugend, der Demut, und spricht: „Nicht in seiner Meinung von sich über das hinauszugehen, was sich gehört“ — denn das ist der Wille Gottes —, „sondern maßvoll von sich zu denken.“ Der Sinn dieser Worte ist der: Wir haben den Verstand erhalten, nicht damit wir ihn zur Überhebung gebrauchen, sondern zur Mäßigkeit. Der Apostel sagt nicht: zum demütig Denken, sondern „zum maßvoll Denken“. Das Wort „Mäßigkeit“ gebraucht er hier nicht zur Bezeichnung der Tugend, die der Völlerei entgegengesetzt ist, auch nicht als Gegensatz zur Unzucht, sondern zur Bezeichnung des nüchternen und gesunden Denkens. Denn das griechische Wort σωφροσύνη besagt: „sich das gesunde Denken bewahren“. Der Apostel will also zum Ausdruck bringen, daß ein Mensch, der (in der Beurteilung seiner selbst) nicht den richtigen Maßstab anzulegen versteht, auch nicht „mäßig sein“, d. h. eine feste geistige Gesundheit haben könne, sondern daß ein solcher überschnappt ist und es jedem Wahnsinnigen zuvor tut; darum nennt er die Demut „Mäßigkeit“.

„Nach dem Maße des anvertrauten Gutes, wie es Gott einem jeden zugemessen hat.“ Bei den Römern wie bei den Korinthern hatte die Erteilung von wunderbaren Gaben [Charismen] viele zur Überhebung verleitet; beachte nun, wie der Apostel die Ursache der Krankheit aufdeckt und sie allmählich entfernt! Nach- S. d130 dem er gesagt hat, man müsse maßvoll von sich denken, fährt er fort: „Nach dem Maße des anvertrauten Gutes, wie es Gott einem jeden zugemessen hat. Hier nennt der Apostel die wunderbare Gabe „anvertrautes Gut“ 2. Wenn er davon sagt, daß Gott sie zugemessen hat, so tröstet er damit den, der eine geringere erhalten hat, und dämpft den, der sich im Besitz einer größeren sieht. Denn wenn Gott die Zuteilung vorgenommen hat und das gute Werk nicht dein Eigentum ist, was bildest du dir viel darauf ein?


  1. Matth. 5, 3. ↩

  2. πίστις versteht Chrysostomus zunächst als „Anvertrautes“; erst weiter unten zieht er auch die Deutung „Glauben“ in Erwägung. ↩

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