I.
Kap. XII.
1. 2. Bezüglich aber des Geistigen (der Geistesgaben), Brüder, will ich euch nicht unwissend lassen. Ihr wisset, daß ihr, als ihr Heiden waret, zu den stummen Götzen gleichsam hingezogen geführt wurdet.
I. Diese ganze Stelle ist sehr dunkel; diese Dunkelheit rührt aber her von unserer Unkenntniß Desjenigen, was damals stattfand, jetzt aber nicht mehr geschieht. Und warum geschehen jetzt solche Dinge nicht mehr? Siehe, die Ursache dieser Dunkelheit führt uns wieder auf eine andere Frage: warum nämlich geschahen sie damals, jetzt aber nicht mehr? Jedoch Das verschieben wir auf spätere Zeit; einstweilen wollen wir anführen, was denn damals geschah. Sobald Jemand getauft war, redete er alsbald in (fremden) Sprachen, ja nicht nur in Sprachen, sondern Viele weissagten auch, und Manche zeigten auch mehrere andere Wunderkräfte. Denn weil die Neubekehrten aus dem Heidenthume keine klaren Religionskenntnisse hatten, auch von den Büchern S. 493 des alten Testamentes Nichts wußten und sogleich nach der Taufe den hl. Geist empfingen, aber den Geist nicht sahen, — denn er ist unsichtbar, — so gab ihnen die Gnade einen fühlbaren Beweis seiner wirkenden Kraft; der Eine redete die Sprache der Perser, der Andere die der Römer, wieder ein Anderer die der Inder, Andere wieder eine andere; und Dieses war den Heiden Beweis, daß der Geist in dem Sprechenden wirke. Darum nennt er ihn auch Geist: „Jedem aber wird die Erweisung des Geistes gegeben zum Gemeinnützlichen“ und nennt so die Wundergaben Erweisung des Geistes. Denn weil die Apostel die Gabe der Sprachen als das erste Zeichen empfangen hatten, so empfingen sie auch die Gläubigen, jedoch nicht diese allein, sondern noch mehrere andere; denn Viele erweckten Todte, trieben Teufel aus und wirkten vielerlei andere Wunder: von den Wundergaben aber besaßen Einige eine größere, andere eine geringere Zahl; am allerhäufigsten aber fand sich bei ihnen die Gabe der Sprachen. Dieses wurde nun auch eine Ursache der Spaltung, nicht wegen der Sache an sich, sondern wegen der Undankbarkeit Derjenigen, die sie empfangen hatten. Denn Jene, welche größere Wundergaben erhalten hatten, erhoben sich über Diejenigen, welchen geringere gegeben waren, und Diese hinwieder fühlten sich gekränkt und beneideten Jene, was Paulus in weiterem Verlaufe bezeugt. Da nun Dieses für sie eine tödtliche Wunde geworden, weil dadurch das Band der Liebe zerriß, so gibt sich Paulus eine gewaltige Mühe, das Übel zu heilen, auch zu Rom herrschte das nämliche Übel, aber nicht in dem Grade, woher er denn auch im Briefe an die Römer die Sache berührt, aber verdeckter Weise und kurz, mit den Worten: „Denn sowie wir an einem Leibe viele Glieder haben, alle Glieder jedoch nicht dieselbe Verrichtung haben, so sind wir, die Vielen, ein Leib in Christo, die Einzelnen aber Einer des Andern Glieder, indeß wir aber Gaben besitzen, verschiedenartige gemäß der Gnade, welche uns gegeben worden: sei es Weissagung, (so sei es) nach dem Verhältnisse des Glaubens, oder Dienst, (so sei er) S. 494 in der Dienstleistung, oder der da lehrt, (bleibe) im Lehren.“1 Daß aber auch die Römer hierdurch übermüthig geworden, deutet er Anfangs leise an, indem er spricht: „Denn ich sage mittels der Gnade, welche mir gegeben ist, Jeglichen, die da sind unter euch, nicht höher zu denken, als sich’s ziemt zu denken, sondern zu denken nach Bescheidenheit und so, wie Gott Jeglichem ein Maß des Glaubens zugetheilt hat.“?2 So sprach er mit Jenen; denn der krankhafte Zustand der Zwietracht und des Übermuthes hatte noch keine bedeutende Höhe erreicht; hier aber spricht er mit größerem Eifer, denn die Krankheit hatte weit um sich gegriffen. Jedoch nicht allein Das erzeugte bei ihnen Verwirrung: es gab unter ihnen auch viele Wahrsager, denn diese Stadt war besonders in heidnischem Aberglauben befangen, und Dieses war nebst Anderem auch ein Grund jener Erschütterung und Verwirrung; deßhalb erwähnt er im Anfange des Unterschiedes zwischen Wahrsagerei und Weissagung. Darum empfingen sie auch die Gabe, die Geister zu unterscheiden, damit sie erkennen und einsehen könnten, ob ein reiner ooer unreiner Geist aus Jemandem spräche. Nun ließ sich aber die Wahrheit der Aussprüche nicht sogleich nachweisen (denn die Weissagung wird nicht zur Zeit, da sie gegeben ist, sondern erst durch den Erfolg bewährt); und es war nicht leicht, zu unterscheiden und zu sagen, wer ein wahrer Prophet, und wer ein Lügenprophet sei; denn der Teufel ist ein Schalk, stellte sich selbst unter die Weissagenden und führte falsche Propheten ein, die auch Zukünftiges vorhersagten, und so führte er die Menschen leicht in Irrthum, da man über die Wahrheit noch nicht urtheilen konnte, weil die Zeit noch nicht erschienen war, wo die Vorhersagung erfüllt werden sollte; nur der Erfolg kann beweisen, wer wahr, wer unwahr geredet. Damit nun die Zuhörer nicht schon vor dem Ausgang der Sache berückt werden könnten, so gibt er ihnen S. 495 ein Zeichen, wodurch sie im Voraus den wahren und falschen Propheten zu unterscheiden vermögen. Und daraus nimmt er den folgerichtigen Anlaß, über die Wundergaben zu sprechen und der hieraus erwachsenen Eifersucht entgegen zu treten. Er beginnt mit den Wahrsagern, indem er spricht: „Bezüglich aber des Geistigen (der Geistesgaben), Brüder, will ich euch nicht unwissend lassen.“ Die Wunder nennt er Geistesgaben, weil der Geist allein sie wirkt und der Mensch aus sich Nichts dazu beiträgt. Und da er sich nun hierüber weiter zu verbreiten gedenkt, so gibt er, wie ich bemerkte, vorerst den Unterschied an zwischen Wahrsagerei und Weissagung, indem er sagt: „Ihr wisset, daß ihr, da ihr Heiden wäret, zu den stummen Götzen gleichsam hingezogen geführt wurdet. Das will sagen: Wenn Jemand in einem Götzentempel von einem unreinen Geiste ergriffen weissagte, so wurde er wie mit Gewalt und wie ein Gefangener von dem Geiste angetrieben, ohne zu wissen, was er sagte. Denn Das ist den Wahrsagern eigen, daß sie ausser sich kommen, daß sie in gewaltsamen Zuckungen wie Rasende sich stoßen, treiben und schleppen lassen. Nicht so der Prophet; dieser spricht Alles mit nüchternem Geiste, mit vernünftigem Sinne und weiß, was er sagt. Also schon daraus kann man vor Erfüllung der Weissagung den falschen und wahren Propheten erkennen. Und siehe, wie er die Sache ausser Zweifel setzt! Er beruft sich auf ihre eigene Erfahrung. Ihr selbst müßt mir Zeugniß geben, will er sagen, daß ich nicht lüge, daß ich nicht böswillig dichte und die Heiden grundlos verleumde; denn ihr wisset ja selbst, wie ihr, da ihr noch Heiden waret, euch schleppen mnd führen ließet. Will aber Jemand euch jetzt, da ihr Gläubige seid, nicht als vollgiltige Zeugen betrachten, wohlan, so will ich es euch auch aus heidnischen Zeugnissen darthun. Höre den Plato, der also spricht:3 Die Wahrsager und S. 496 Seher sprechen zwar viele und herrliche Dinge, wissen aber Nichts von Dem, was sie sagen. Höre auch einen andern Dichter, der sich ebenso äussert! Nachdem ein Gewisser durch Zauberformeln und Beschwörungsceremonien den Dämon in einen Menschen gebannt hatte, fing dieser zu wahrsagen an und ward, während er wahrsagte, gerüttelt und hin und her gezerrt, so daß er den Anfall des Dämons nicht mehr aushalten konnte und fürchtend, zerrissen zu werden, zu den Zauberern sprach:4
Löset mich doch: der Sterbliche trägt nicht die mächtige Gottheit!
Und ferner:
Nehmt mir die Kränze weg und mit reinem Wasser besprenget
Mir die Füße; tilget die Zauberschrift, laßt mich von hinnen!
Diese und ähnliche Beispiele — deren man noch mehrere anführen könnte — beweisen uns Zweierlei: sowohl den Zwang, dem die Dämonen unterworfen sind, als auch die Gewalt, welche Diejenigen leiden, die sich denselben einmal ergeben, und die Raserei, von der sie befallen werden. Noch muß ich auf eine andere schändliche Erscheinung, aufmerksam machen, die ich wohl mit Stillschweigen über- S. 497 gehen sollte, da ihre Erwähnung unanständig erscheint; um jedoch das schändliche Wesen (des Heidenthumes) genauer kennen zu lernen, muß ich es sagen, damit ihr daraus ersehet, wie thöricht und lächerlich Diejenigen seien, die sich mit Wahrsagen abgeben. Von jener Priesterin Pythia wird nun gesagt, sie habe sich mit ausgespreizten Schenkeln auf den Dreifuß des Apollo gesetzt, und dann sei der böse Geist von unten herauf durch ihre Genitalien schlüpfend in sie gefahren und habe sie in Raserei versetzt, so daß sie mit aufgelösten Haaren zu toben und zu schäumen begann und gleich einem Betrunkenen raste. Ich weiß, daß ihr bei diesen Worten erröthet und euch schämet; Jene aber sind stolz auf diese Unverschämtheit und diesen gewaltigen Wahnsinn.
De Phythia et de tripode vide Strabonem lib. 9. p. 419 seq. Ed Casaub., qui descriptionem tripodis affert et antri, in quo positus erat.
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Röm. 12, 4—7. ↩
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Ebend. V. 3. ↩
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S. Apologia Socratis, ed. Henr. Steph. 1578, t. I, p. 22. ↩
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Montfaucon bemerkt in einer Note: In haec carmina haec docte disserit Halesius in notis Savilianis p. 276: Versus istos apud poëtarum aliquem frustra quaesieris. Quaobrem, cum Chrysostomum audias tamquam e poëta proferentem, intellige Phoebadem seu Pythiam. Sunt enim Delphicorum oraculorum conclusiones quaedam, vocesque daemonis sibi abeundi gratiam fieri postulantis … ↩
