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18. 19. Niemand täusche sich selbst. Wenn Jemand sich einbildet, ein Weiser zu sein in dieser Welt, so werde er ein Thor, damit er ein Weiser werde. Denn die Weisheit dieser Welt ist Thorheit vor Gott.
I. Nachdem Paulus, wie ich oben gesagt, vor der eigentlichen Zeit auf die Rüge des Blutschänders gekommen war und dunkel darauf angespielt und das Gewissen desselben erschüttert hatte, so wendet er sich wieder zur Bekämpfung der heidnischen Philosophie und zur Anklage Derjenigen, die davon aufgebläht die Kirche zerreissen; und nachdem er das Übrige beigefügt und diesen Gegenstand vollkommen erlediget hat, greift er den Unzüchtigen, dem er durch das Vorhergehende nur von der Ferne zugesetzt,1 jetzt mit aller Macht an. Denn die Worte: „Niemand täusche sich selbst“ sind vorzüglich gegen diesen gerichtet: er will ihn vorerst durch Furcht mürbe machen. Auch der Vergleich mit den „Stoppeln“ deutet vorzugsweise auf ihn, wie auch die Frage: „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid S. 160 und der Geist Gottes in euch wohnet?“ Denn diese beiden Dinge pflegen uns vorzüglich von der Sünde abzuhalten: der Gedanke an die Strafe der Sünde und die Betrachtung unserer eigenen Würde. Durch die Erwähnung von Heu und Stoppeln schreckte er, durch die Erinnerung an die eigene Würde weckte er das Schamgefühl; durch das Erstere sucht er die Gefühllosen, durch das Letztere die Bessern zu fördern. — „Niemand täusche sich selbst. Wenn Jemand sich einbildet, ein Weiser zu sein in dieser Welt, so werde er ein Thor, damit er ein Weiser werde.“ Sowie er befiehlt, der Welt abzusterben, — ein Tod, der uns nicht schadet, ja im Gegentheile uns nützt, da er die Ursache des Lebens ist, — so befiehlt er auch, daß man vor dieser Welt ein Thor werde, und verschafft uns dadurch die wahre Weisheit. Ein Thor vor der Welt wird aber Derjenige, welcher die sophistische Weisheit verschmäht, überzeugt, daß dieselbe zum Begreifen der Glaubenslehren Nichts beiträgt. Sowie nun die Armuth vor Gott reich macht und die Demuth erhöht und die Verachtung der Ehre Ehre einbringt: so macht uns das Thörichtwerden weiser als Alle. Unser Leben besteht ja aus Gegensätzen. — Warum sagt er denn nicht: der lege seine Weisheit ab, sondern: „der werde ein Thor“? Um seine Verachtung gegen jene Schulweisheit in hohem Grade auszudrücken; denn es ist nicht einerlei, sagen: „Lege deine Weisheit ab“ und: „werde ein Thor!“ Ausserdem lehrt er uns aber auch, der eigenen Unwissenheit uns nicht zu schämen; denn er verachtet die heidnische Weltweisheit gar sehr. Daher scheut er auch keine Namen, weil er auf die Kraft der Sache vertraut. Gleichwie das Kreuz dem Scheine nach das Schmachvollste, die Ursache von tausend Gütern und der Grund und die Wurzel einer unaussprechlichen Herrlichkeit geworden ist: so wurde auch jene scheinbare Thorheit für uns eine Quelle der Weisheit. Sowie Derjenige, der eine Sache schlecht gelernt hat, nichts Rechtes mehr lernen wird, falls er nicht Alles wieder ablegt und seine Seele wie eine reine geglättete Tafel dem S. 161 Lehrer darbietet, so verhält es sich mit der Schulweisheit: wenn du nicht Alles wegwirfst und aus der Seele wegfegest und dich als einen Unwissenden dem Glauben hingibst, so wirst du Nichts von Bedeutung gründlich erlernen. So werden auch die Schielenden, wenn sie auf ihr schwaches Gesicht sich verlassend nicht lieber die Augen schließen und sich Andern anvertrauen, viel öfter anstoßen als die Blinden. „Wie soll man aber jene Weisheit ablegen?“ Dadurch, daß man von ihren Grundsätzen keinen Gebrauch macht.
Nachdem er nun so ernstlich darauf gedrungen, von derselben abzustehen, gibt er auch die Ursache an mit den Worten: „Denn die Weisheit dieser Welt ist Thorheit vor Gott;“ denn sie bringt uns nicht nur keinen Nutzen, sondern steht uns sogar im Wege. Daher muß man sich von ihr als von einer verderblichen Sache entfernen. Siehst du, mit welch siegreicher Kraft er beweist, daß sie uns nicht nur Nichts nützt, sondern sogar schadet? Jedoch nicht zufrieden mit diesem seinen Beweise, führt er abermals das Zeugniß der Schrift an, mit den Worten: Denn es steht geschrieben: „In ihrer eigenen Schlauheit fängt er die Weisen.“2 In ihrer Schlauheit, das heißt, mit ihren eigenen Waffen schlägt er sie. Denn weil sie sich der eigenen Schlauheit bedienten, um zu zeigen, daß sie Gott gar nicht brauchen, so überführt er sie durch eben dieselbe, daß sie Gottes gar wohl bedürfen. Wie und auf welche Weise? Sie seien dadurch Thoren geworden, und daher natürlich auch gefangen. Denn indem sie wähnten, daß sie Gottes nicht mehr bedürften, sind sie in eine solche (geistige) Armuth gerathen, daß sie selbst Fischern und unstudierten Männern nachstanden und am Ende selbst dieser bedurften. Darum heißt es: „In ihrer eigenen Schlauheit fängt er sie.“ Denn jene andere Stelle: „Ich will die Weisheit, der Weisen vernichten,“3 zeigt, daß S. 162 dieselbe unnütz sei; diese aber: „In ihrer eigenen Schlauheit fängt er die Weisen,“ legt Gottes Macht an den Tag.
