I.
9. 10. 11. Ich schrieb euch im Briefe, mit Unzüchtigen keinen Umgang zu pflegen, nicht schlechthin mit den Unzüchtigen dieser Welt1 oder mit den Habsüchtigen oder den Räubern oder Götzendienern; sonst müßtet ihr aus der Welt gehen. Jetzt aber schreibe ich euch, mit Keinem Umgang zu haben, der sich Bruder nennt und doch ein Unzüchtiger, ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener oder ein Trunkenbold oder ein Verleumder oder ein Räuber ist; mit einem Solchen sollet ihr nicht einmal essen.
I. Paulus hatte gesagt: „Und ihr hattet nicht vielmehr Leidwesen, damit ein Solcher aus eurer Mitte fortgeschafft werde;“ und: „Feget aus den alten Sauerteig!“ wodurch die Vermuthung entstehen konnte, daß man alle Unzüchtigen fliehen müsse (denn wenn der Verderbte in seiner Umgebung S. 259 die Unverdorbenen ansteckt, so muß man um so mehr auswärtige Sünder verabscheuen; wenn man des Bekannten nicht schonen darf, weil er so großen Schaden anrichtet, um so weniger darf man Anderer schonen). Wurde die Sache in diesem Sinne gefaßt, so folgte das Unmögliche daraus, daß sie sich auch von den Unzüchtigen unter den Heiden trennen sollten. Damit sie darüber nicht aufgebracht würden, setzt er berichtigend bei: „Ich schrieb euch, mit Unzüchtigen keinen Umgang zu pflegen, und nicht schlechthin mit den Unzüchtigen dieser Welt,“ wo der Ausdruck: „nicht schlechthin“ als von einer ausgemachten Sache gebraucht wird. Damit sie nicht meinten, er fordere Dieses von ihnen nicht, weil sie noch zu schwach wären, und sie könnten sich erst bei höherer Vollkommenheit daran wagen: so zeigt er, daß Dieses auch beim besten Willen unmöglich sei; denn man müßte sich um eine andere Welt umsehen. Darum setzt er bei: „Sonst müßtet ihr aus der Welt gehen.“ Siehst du, wie er nicht beschwerlich fallen will und bei seinen Vorschriften immer bedacht ist, daß sie nicht nur möglich, sondern auch leicht in der Ausführung seien? Denn wie wäre es möglich, will er fassen, daß Jemand, der einer Haushaltung vorsteht und Kinder hat oder ein öffentliches Amt verwaltet oder der Handwerker oder Soldat ist, bei der großen Anzahl von Heiden überall die Unzüchtigen zu meiden vermöchte? Unter den „Unzüchtigen dieser Welt“ versteht er die Heiden. „Jetzt aber schreibe ich euch, mit einem solchen Bruder nicht einmal zu essen.“ Hier zielt er auch auf Andere, die dem Laster fröhnen. Aber wie kann denn Einer, der ein Bruder ist, Götzendiener sein? Wie Dieß ehemals bei den Samaritern der Fall war, welche die Wahre Gottesverehrung nur zur Hälfte besaßen. Übrigens bahnt er sich hier schon den Weg zur Rede über die Götzenopfer, von denen er nachher zu sprechen gedenkt. „Oder ein Habsüchtiger;“ denn auch diese wird er bekämpfen. Darum spricht er: „Warum leidet ihr nicht lieber Unrecht? Warum tragt ihr nicht lieber Verlust? S. 260 Vielmehr ihr thuet Unrecht und verursacht Verlust.“2 „Oder ein Trunkenbold,“ auch diese greift er in der Folge an, da er spricht: „So ist der Eine hungrig, der Andere trunken;“3 und: „Die Speise ist für den Bauch, und der Bauch für die Speise.“4 „Oder ein Verleumder oder ein Räuber;“ denn auch diese hatte er früher zurechtgewiesen. Dann gibt er auch den Grund an, warum er ihnen den Umgang mit den Heiden nicht verbiete, und zeigt, daß Dieses nicht nur unmöglich, sondern auch überflüssig sei.
12. Denn was geht es mich an, die draussen sind, zu richten?
Unter Denen, die drinnen und draussen sind, versteht er die Christen und Heiden, sowie er auch anderswo sagt: „Auch bei Denen, die draussen sind, muß er (der Bischof) einen guten Ruf haben.“5 Und in dem (zweiten) Briefe an die Thessalonicenser sagt er Dasselbe mit den Worten: „Habt keinen Umgang mit ihm, damit er beschämt werde; doch behandelt ihn nicht als einen Feind, sondern weiset ihn zurecht als einen Bruder!“6 Übrigens gibt er da keinen Grund an. Warum? Weil er dort (in Thessalonika) Trost spenden wollte, hier (in Korinth) aber nicht. Denn es ist hier nicht dieselbe Sünde wie dort, sondern jene ist geringer; denn Paulus klagt dort nur über die Trägheit, hier aber über Unzucht und andere gar schwere Verbrechen. Aus eben dem Grunde verbietet er auch Keinem, die Heiden zu besuchen, falls er Dieß wollte, und mit ihnen zu essen. So pflegen auch wir es zu machen, indem wir für unsere Kinder und Brüder Alles thun, um die Heiden aber uns wenig bekümmern.
S. 261 Wie nun? Hat sich denn Paulus um die Helden gar nicht gekümmert? Jawohl; allein Vorschriften gab er ihnen erst dann, als sie das Evangelium annahmen und der Lehre Christi sich unterwarfen; so lange sie diese verschmähten, war es vergeblich, sie mit den Satzungen des Christenthums bekannt zu machen, da sie ja Christum selber nicht kannten. „Richtet ihr nicht über die, welche drinnen sind?“
13. Die aber draussen sind, wird Gott richten.
Weil er gesagt hatte: „Was geht es mich an, die draussen sind, zu richten?“ so stellt er ihnen ein anderes, ein furchtbares Gericht vor Augen, damit sie nicht wähnten, Jene würden ungestraft bleiben. Das aber sagt er, um die Heiden zu schrecken und die Christen zu trösten und zu zeigen, daß diese zeitliche Strafe sie von der immerwährenden, ewigen errette, was er auch anderswo ausspricht mit den Worten: „Werden wir aber gerichtet, so werden wir gezüchtiget, damit wir nicht mit der Welt verdammt werden;“7 und: „Schaffet den Bösewicht aus eurer Mitte!“8
D. i. „der ausser- oder nichtchristlichen Welt“; vgl. 3, 19 (II. Kor. 4, 4). — Die Warnung des Apostels bezog sich nur auf den Verkehr innerhalb der Christengemeinde selbst. (V. 11.) Reischl. ↩
Kap. 6, 7. 8. ↩
Kap. 11, 21. ↩
Kap. 6, 13. ↩
I. Tim. 3, 7. ↩
II. Thess. 3, 14. 15. ↩
Kap. 11, 32. ↩
Deut. 17, 7. ↩
