II.
Was heißt aber: „Der Gott dieser Welt“? Die Anhänger der Irrlehre des Marcion behaupten, es sei der Demiurg darunter zu verstehen, der bloß gerecht, aber nicht gut sei; denn sie nehmen irgend einen Gott an, der zwar gerecht sei, aber dem die Güte fehle. Die Manichäer dagegen meinen, es sei hier vom Teufel die Rede, und sie berufen sich auf diese Worte, um einen anderen Urheber der Schöpfung ausser dem wirklichen einzuführen; sehr unverständig! Denn so finden wir es häufig in der Schrift, daß sie „Gott“ sagt nicht mit Rücksicht auf die Würde Dessen, der wirklich so genannt wird, sondern mit Bezug auf die Schwäche Derer, die sich unterordnen; so wenn sie den Mammon „Herr“ nennt und den Bauch „Gott“. Aber deßwegen ist weder der Bauch Gott noch der Mammon Herr, ausser für Jene, die sich freiwillig unter sie beugen. Wir aber sagen, es sei mit diesen Worten auch nicht der Teufel gemeint, sondern vielmehr der wahre Gott aller Dinge, und daß also zu lesen sei: „Den Sinn der Ungläubigen dieser Welt hat Gott geblendet.“ Denn nur die gegenwärtige Welt hat Ungläubige, nicht auch die künftige. Wenn aber Einer auch anders liest, etwa: „Der Gott dieser Welt,“ so hat auch Das keinen Anstoß; denn Das würde Gott nicht ausschließlich als Herrn nur dieser Welt erweisen. So wird er ja auch „der Gott des Himmels“ genannt, ohne daß er bloß Gott des Himmels ist; und wir sagen: „Der Gott des heutigen Tages,“ ohne mit diesem Ausdrucke Gottes S. 157 Herrschaft auf diesen einen Tag beschränken zu wollen; auch wird er der Gott Abrahams genannt und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, und doch ist er nicht bloß ihr Gott. Und so könnte man in den heiligen Schriften noch viele derartige Zeugnisse finden. Wie ist nun das Blenden zu verstehen? Nicht als hätte Gott thätig eingewirkt, durchaus nicht, sondern er hat es nur zugelassen und gestattet; so drückt die Schrift gar häufig sich aus, so, wenn sie sagt: „Es übergab sie Gott verworfenem Sinne.“1 So ist es nun auch hier zu verstehen. Weil nämlich Jene zuerst aus freiem Willen ungläubig waren und sich der Gnade unwürdig machten, die Geheimnisse zu schauen, so überließ sie Gott fernerhin ihrem Zustande. Was hätten Gott auch thun sollen? Etwa mit Gewalt sie ziehen und vor Denen die Hülle wegnehmen, die nicht sehen wollten? Aber dann hätte nur ihre Verachtung zugenommen, und sie hätten doch nicht gesehen. Darum fährt Paulus fort:
„Damit ihnen nicht strahle das Leuchten des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi;“ nicht damit sie an Gott nicht glauben, sondern damit ihr bestehender Unglaube nicht sehe, was hinter der Hülle verborgen ist. Das hat auch uns Christus geboten, indem er befahl, die Perlen nicht vor die Schweine zu werfen.2 Denn hätte Gott auch vor Ungläubigen das Evangelium enthüllt, so wäre ihre Krankheit nur noch schlimmer geworden. Zwingt man Einen, der an den Augen leidet, in die Strahlen der Sonne zu schauen, so verschlimmert sich noch sein Übel. Darum verschließen auch die Ärzte solche Kranke in dunkle Räume, damit nicht das Gebrechen noch mehr zunehme. So nun muß man es sich auch hier vorstellen. Jene sind ungläubig gewesen aus eigener Schuld ; und einmal dem Unglauben verfallen, konnten sie dann nicht mehr die Wunder des Evangeliums schauen, indem Gott S. 158 ihnen jetzt die Strahlen verschloß. So sprach auch Christus zu seinen Jüngern: „Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie hörend nicht hören.“3 Ein Beispiel mag uns, was ich sage, noch deutlicher machen. Denke dir irgend einen Heiden, der unsere ganze Lehre für ein Mährchen hält! Was wird nun für diesen besser sein, wenn er zu uns hereintritt und die Geheimnisse schaut, oder wenn er draussen bleibt? Darum sagt Paulus: „Damit ihnen nicht strahle das Leuchten;“ und dabei schwebt ihm noch immer der Vorgang mit Moses vor Augen. Denn was bei Moses gegenüber den Juden geschah, Das wiederholt sich bei allen Ungläubigen beim Evangelium. Und was ist denn Das, was vor ihnen verdunkelt, was ihnen nicht erleuchtet ist? Höre, was der Apostel weiter sagt: „Damit ihnen nicht strahle das Leuchten des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes.“ So z. B. daß im Kreuze das Heil der Welt ist und die Herrlichkeit Christi, daß eben dieser Gekreuzigte mit großer Pracht einst wiederkommt, und so vieles Andere, was gegenwärtig, was künftig, was sichtbar, was unsichtbar, und endlich die unaussprechliche Herrlichkeit der zu erwartenden Dinge. Darum redet auch Paulus nur von einem „Strahlen“, damit du nicht das Ganze hienieden suchest; denn nur wie ein Strahl vom Geiste ist Das, was gegeben wird. Das Nämliche wollte Paulus zu verstehen geben, als er weiter oben von einem „Geruche“ und wiederum von einem „Pfande“ redete; er wollte zeigen, daß das Mehrere dort zurückbleibt. Aber gleichwohl ist auch Dieses insgesammt vor ihnen verborgen worden; und es ist verborgen, weil sie zuerst nicht geglaubt haben. Dann um zu zeigen, daß Die, welche Christi Herrlichkeit nicht sehen, mit ihr auch die des Vaters nicht kennen, hat Paulus beigefügt: „Welcher ist S. 159 das Ebenbild Gottes.“ Denn bei Christus darfst du nicht stehen bleiben. Wie du durch ihn den Vater siehst, so wirst du, wenn dir Christi Herrlichkeit verborgen bleibt, auch die des Vaters nicht kennen.
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