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S. 15 Vers 1: „Paulus, Apostel nicht von Menschen noch auch durch Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten, V. 2: und alle Brüder, die bei mir sind, an die Kirchen von Galatien. V. 3: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“
Der Eingang ist voll heftiger Erregung und starken Hochgefühls. Aber nicht der Eingang allein, sondern sozusagen der ganze Brief. Denn stets nur in Güte mit den Schülern zu verkehren, auch wenn sie der Strenge bedürfen, wäre nicht Lehrers, sondern böswilligen Verführers Art. Deshalb hat auch der Herr, obschon er zumeist gar liebreich mit seinen Schülern umging, dennoch bisweilen auch härtere Worte gefunden; und jetzt eben preist er selig, jetzt aber tadelt er. So, nachdem er zu Petrus gesagt: „Selig bist du, Simon, Sohn des Jonas“1 und ihm verheißen, daß er auf sein Bekenntnis die Kirche gründen wolle, fährt er nicht lange darnach ihn also an: „Fort mit dir hinter mich, Satan, du bist mir zum Ärgernis!“2 Und anderswo wieder: „Nun, seid auch ihr immer noch unverständig?“3 Er flößte ihnen, wie auch Johannes erzählt, solche Furcht ein, daß sie, als sie ihn im Gespräche mit der Samariterin erblickten, zwar des Essens schüchtern Erwähnung taten, „keiner S. 16 jedoch sich zu sagen getraute: Was redest du oder was begehrst du mit ihr?“4 Das merkte sich Paulus, und als getreuer Nachfolger seines Meisters gestaltete er die Rede mannigfach je nach dem Bedürfnisse seiner Schüler: bald brennt und schneidet er, bald legt er lindernde Heilmittel auf. So sprach er zu den Korinthern: „Was wollt ihr? Soll ich mit der Zuchtrute zu euch kommen oder mit Liebe und im Geiste der Sanftmut?“5 Zu den Galatern aber: „O ihr unverständigen Galater!“6 Und nicht bloß das eine, sondern auch noch ein zweites Mal hat er diesen Vorwurf gebraucht. Und gegen das Ende zu äußerte er sich tadelnd zu ihnen: „Fortan bereite mir keiner Beschwernis!“7 Doch heilt er auch wieder, so wenn er sagt: „Meine Kindlein, für die ich von neuem in Geburtswehen bin“,8 und was dergleichen Ausdrücke mehr sind. — Daß indes der Brief voller Erregung ist, wird jedem gleich bei der ersten Lesung offenbar. Es gilt aber darzutun, was (den Apostel) gegen seine Schüler so in Harnisch gebracht hat. Nichts Kleinliches und Geringfügiges kann dies gewesen sein, sonst würde er gewiß nicht ein so scharfes Vorgehen gewählt haben. Denn bei jedem beliebigen Anlaß sich zu erhitzen, verrät reizbaren, mürrischen, verdrießlichen Sinn, so wie anderseits nur feigen und schlaffen Seelen in wichtigen Augenblicken der Mut entsinkt. Aber Paulus gehörte nicht zu diesen. Welches war nun das Vergehen, das ihn dermaßen erregte? Ein gar großes und überaus schweres, eines, das sie alle (die ganze Gemeinde) Christus entfremdete, wie er selber weiterhin erklärt: „Siehe, ich, Paulus, sage euch, daß, wenn ihr euch beschneiden lasset, Christus euch nichts nützen wird.“9 Und wiederum: „Die ihr durch das Gesetz gerechtfertigt werden wollet, seid aus der Gnade gefallen.“10 Was ist’s nun also damit? Wir müssen diesen S. 17 Punkt deutlicher erklären. — Es kamen Judengläubige zu den Galatern, die, gleichermaßen in jüdischen Vorurteilen befangen und aufgebläht von eitler Ruhmsucht, dazu begierig, Lehreransehen sich zu erwerben, anfingen zu lehren, man müsse sich beschneiden lassen, die Sabbate und Neumonde halten und dürfe dem Paulus nicht folgen, der solches abschaffe. Denn die um Petrus, Jakobus und Johannes, so versicherten sie, verböten dies nicht, und sie seien doch die Ersten der Apostel und hätten mit Christus selber verkehrt. Und in der Tat, sie verboten es nicht. Aber indem sie so handelten, wollten sie keineswegs unverrückbare Normen schaffen, sondern lediglich der Schwäche derer begegnen, die aus dem Judentum zum Glauben übertraten. Paulus als Heidenapostel hingegen brauchte keine solche Rücksicht zu nehmen. Übrigens hat auch er, während er in Judäa weilte, die gleiche Rücksicht geübt. Die (genannten) Betrüger jedoch verschwiegen die Gründe, durch welche er sowohl als jene zur Rücksichtnahme bewogen wurden, und schwätzten den einfältigen Leuten trügerischerweise vor, man dürfe es nicht mit Paulus halten; denn dieser sei von gestern und heute, Petrus aber und seine Partei seien zuerst dagewesen; dieser sei nur Apostelschüler, jene aber seien Schüler Christi; dieser stehe für sich allein, jene aber seien viele und zudem die Säulen der Kirche. Ja selbst der Heuchelei klagten sie ihn an und sagten: Gerade er, der die Beschneidung abschaffen will, hat diese Dinge andernorts in offenkundigem Gebrauch, predigt also euch dies und andern das. — Da Paulus nun sah, wie das ganze Volk Feuer fing und ein gefährlicher Brand die Kirche der Galater ergriff und das Haus wankte und in Einsturzgefahr schwebte, schrieb er teils aus gerechtem Zorne, teils aus tiefer Betrübnis heraus — denn auch diese spricht sich aus in den Worten: „Ich möchte jetzt bei euch anwesend sein und ändern meine Stimme“11 — , S. 18 zur Verteidigung gegen all diese Anklagen seinen Brief. — Gleich zu Anbeginn tritt er so jener Behauptung entgegen, durch die sie seinen Ruf zu untergraben suchten, daß nämlich wohl die anderen Schüler Christi seien, er aber nur Schüler der Apostel. Deshalb begann er auch folgendermaßen: „Paulus, Apostel nicht von Menschen, noch auch durch Menschen.“ Wie schon bemerkt, streuten jene Betrüger aus, er sei der letzte aller Apostel und habe seine Lehre von diesen empfangen. Denn Petrus, Jakobus und Johannes wären zuerst berufen, seien die vornehmsten unter den Jüngern und hätten ihre Lehre unmittelbar von Christus erhalten; darum müsse man ihnen mehr Glauben schenken als diesem. Jene aber verwehrten weder die Beschneidung noch (überhaupt) die Beobachtung des Gesetzes.