1.
V. 18: „Denn viele wandeln, wie ich sie euch oft genannt habe, jetzt aber auch unter Tränen nenne, als die Feinde des Kreuzes Christi“;
V. 19: „deren Ende Verderben, deren Gott der Bauch ist, und deren Ruhm in der Schande besteht, die auf das Irdische sinnen.“
V. 20: „Denn unser Wandel ist im Himmel, woher wir auch als Heiland erwarten den Herrn Jesus Christus,“
V. 21: „der umgestalten wird den Leib unserer Erniedrigung, daß er gleichförmig sei dem Leibe seiner Herrlichkeit, vermöge der Kraft, durch die er auch alles sich unterwerfen kann.“
Nichts ist an einem Christen so unpassend und störend als das Streben nach Bequemlichkeit und Ruhe; und die Anhänglichkeit an das gegenwärtige Leben ist der Gesellschaft des Evangeliums fremd. Dein Herr ist gekreuzigt worden, und du suchst Bequemlichkeit? Dein Herr ist mit Nägeln durchbohrt worden, und du frönst der Üppigkeit? Wie sollte sich das für einen echten Soldaten geziemen? Deshalb sagt auch Paulus? „Viele wandeln, wie ich sie euch so oft genannt habe, jetzt aber euch unter Tränen nenne, als die Feinde des Kreuzes Christi.“ Weil manche sich zwar äußerlich zum Christentum bekannten, aber ein bequemes und üppiges Leben führten — im schneidendsten Gegensatze zur Lehre des Kreuzes —, darum sprach er sich also aus. Denn das Kreuz verlangt eine kampfbereite, todesmutige, keinerlei Bequemlichkeit suchende Seele; jene aber huldigen ganz entgegengesetzten Bestrebungen. Mögen sie S. 192 sich daher auch für Anhänger Christi ausgeben, in Wirklichkeit sind sie nichts anderes als Feinde des Kreuzes. Denn wären sie Liebhaber des Kreuzes, so würden sie sich bemühen, ein gekreuzigtes Leben zu führen. Ist dein Herr nicht an den Kreuzespfahl geschlagen worden? Ahme du den Herrn auf andere Weise nach! Kreuzige dich selbst, auch wenn niemand dich kreuzigt! Kreuzige dich selbst, nicht um dich selbst umzubringen — Gott bewahre, das wäre ja gottlos —, sondern wie Paulus spricht: „Mir ist die Welt gekreuzigt und ich der Welt1.“ Wenn du deinen Herrn liebst, so stirb desselben Todes wie er! — Lerne begreifen, wie groß die Kraft des Kreuzes ist, welch großartige Wirkungen es schon hervorgebracht hat und noch immer hervorbringt, wie auf ihm die Sicherheit des Lebens beruht! Durch das Kreuz vollzieht sich alles: durch das Kreuz die Taufe; denn man muß sein Siegel annehmen; durch das Kreuz die Handauflegung. Mögen wir auf Reisen oder zu Hause oder wo immer sein, so ist das Kreuz ein großes Gut, eine schützende Waffe, ein undurchdringlicher Schild, die beste Gegenwehr wider den Teufel. Gegen diesen Feind trägst du (als Abzeichen) das Kreuz, nicht nur indem du damit besiegelt bist, sondern indem du Kreuz und Leiden erduldest. Christus pflegt die Leiden Kreuz zu nennen; so wenn er sagt: „Wenn jemand nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt2,“ d. h, wenn einer nicht zum Tode bereit ist. — Diese aber mit ihrer Feigheit und Anhänglichkeit an Leib und Leben sind Feinde des Kreuzes; und jeder, der die Üppigkeit liebt und allem, was seine irdische Behaglichkeit stören könnte, ängstlich aus dem Wege geht, ist ein Feind des Kreuzes, in dem Paulus sich rühmt, das er unzertrennlich umschlungen hält, mit dem er eins zu werden trachtet, wie wenn er sagt: „Ich bin der Welt gekreuzigt und die Welt mir.“ — „... jetzt aber“, fährt er fort, „auch unter Tränen nenne.“ Warum? Weil das Übel sich gesteigert hat, weil solche Menschen beweinenswert sind. Ja, in der Tat beweinenswert sind die Üppigen, weil sie S. 193 ihre äußere Hülle, d. h. ihren Leib, auf das sorgfältigste pflegen, um die dereinst abzulegende Rechenschaft aber sich gar nicht kümmern. Sieh, du schwelgst; sieh, du berauschst dich — heute, morgen, zehn, zwanzig, dreißig, fünfzig, hundert Jahre lang — was freilich nicht denkbar ist; indes, wenn du willst, wollen wir es annehmen —: was dann? was hast du davon? Nichts. Eine solche Lebensweise nun, ist sie nicht beweinens- und beklagenswert? Gott hat uns in diese Laufbahn geführt, um uns den Siegeskranz verleihen zu können; und wir wollen dieselbe verlassen, ohne etwas Tüchtiges geleistet zu haben. Daher weint Paulus über das, worüber andere lachen und woran sie sich ergötzen. So groß ist sein Mitgefühl, so groß seine Sorge für alle Menschen. — „Deren Gott der Bauch ist“, sagt er. Deswegen3 ist er ihr Gott. Das bedeuten die Worte: „Laßt uns essen und trinken4!“ Siehst du, welch großes Übel die Üppigkeit ist? Den einen ist das Geld, den anderen der Bauch ihr Gott. Sind nicht auch diese letzteren Götzendiener, und zwar noch schlimmere als die ersteren? — „Und deren Ruhm“, fährt er fort, „in ihrer Schande besteht.“ Einige behaupten, er bezeichne damit die Beschneidung. Ich bin nicht dieser Ansicht; sondern der Sinn ist: Worüber sie vor Scham ihr Gesicht verhüllen sollten, dessen rühmen sie sich. Denn arg ist es, Schändliches zu tun; sich des schändlichen Tuns zu schämen, ist nur halb so arg; wenn man aber damit gar noch sich brüstet, so verrät das unbegreiflichen Stumpfsinn. — Gilt das nun lediglich von den damaligen Menschen, und bleibt unsere heutige Welt von diesem Vorwurfe unberührt? Wird heutzutage niemand davon betroffen? Hat niemand mehr den Bauch zu seinem Gott? Rühmt sich niemand mehr seiner Schande? — Ich wollte, ja sehnlichst wollte ich, daß nichts davon auf uns Bezug hätte, und daß ich von deinem sagen müßte, er sei der angeführten Fehler schuldig; aber ich fürchte, diese Worte passen auf die Gegenwart noch mehr als auf die damalige Zeit. Denn wenn einer sein ganzes Leben mit Trinkgelagen und Schmau- S. 194 sereien zubringt und für die Armen kaum hie und da eine Kleinigkeit aufwendet, sondern das meiste seinem Bauche opfert; sollten sie da nicht mit Recht auch auf ihn Anwendung finden?