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Werke Johannes Chrysostomus (344-407) In epistulam i ad Timotheum argumentum et homiliae 1-18 Homilien über den I. Brief an Timotheus (BKV)
Vierzehnte Homilie.

VI.

Sage mir nun, ruft mir Jemand zu, ob man auch in der kirchlichen Gemeinde Heilige finden kann, wenn Jemand dort „die Füße der Heiligen waschen“ möchte? Ja freilich kann man es. Wenn wir das Leben der Mönche geschildert haben, so wollen wir damit die Glieder der kirchlichen Gemeinde nicht herabsetzen. Oft gibt es gar viele Heilige mitten unter der Gemeinde, aber sie sind verborgen und unbekannt. Man braucht deßhalb Einen nicht gering zu schätzen, weil er in den Häusern herumgeht, weil er den Markt besucht, weil er eine amtliche Stellung einnimmt. Auch Das ist der Wille Gottes. „Sprechet Recht der Waise, vertheidigt die Wittwe!“ heißt es.1 Gar viel sind der Tugendpfade, gleichwie auch bei den Perlen ein großer Unterschied ist, obschon man sie sämmtlich als Perlen bezeichnet. Die eine besitzt einen intensiven Glanz und vollendete Rundung, die eine hat mehr, die andere weniger Schönheit. Wie ist das Gleichniß zu verstehen? Der eine Edelstein zeigt einen länglichten Strich, als wäre er künstlich gemalt, und ist an den Ecken wie abgedrechselt; ein zweiter erfreut durch sein seltenes Weiß, ein dritter durch sein unübertroffnes Grasgrün; ein weiterer bietet das S. 191 Blutroth einer Rose, wieder ein anderer hat ein schöneres Blau als das Meer oder übertrifft die Leuchtfarbe des Purpurs. Und noch tausend andere Edelsteine könnte man finden, die an farbiger Pracht mit den Blumen wetteifern oder dem prismatischen Farbenspiel des Sonnenlichtes gleichkommen. So ist es auch bei den Heiligen. Einige arbeiten bloß an ihrer eigenen Vervollkommnung, Andere auch an der der Gemeinde.

Treffend hat also der Apostel gesagt: „Wenn sie die Füße der Heiligen gewaschen, den Bedrängten Beistand geleistet hat.“ Um Alle zur Nachahmung aufzufordern, deßhalb hat er Das gesagt. Wollen also auch wir uns herbeidrängen dazu, damit wir uns einst im Jenseits rühmen können, daß wir die Füße der Heiligen gewaschen haben. Wenn man aber ihre Füße waschen soll, dann muß man ihnen noch vielmehr mit der Hand eine Gabe reichen und dabei trachten, daß man unbemerkt bleibt. „Deine Rechte soll nicht wissen, was die Linke thut,“ heißt es.2 Wozu eine Schaar von Zeugen? Nicht der Diener, nicht die Frau soll es bemerken, falls es thunlich ist. Der Ränkesüchtige nimmt da gar manchen Anstoß. Oft legt die Frau in dem Falle ein Hinderniß, wenn sie es auch sonst niemals that, entweder aus Eitelkeit oder aus einem andern Motive. Hat ja auch Abraham, der eine so vortreffliche Frau hatte, ihr Nichts von gesagt, als er seinen Sohn zum Opfer schlachten wollte, obschon ihm der faktische Ausgang der Sache nicht bekannt und er der Überzeugung war, er werde ihn wirklich hinschlachten. Was hätte wohl irgend Jemand aus der Menge da gesagt? Hätte er nicht gerufen: „Was ist denn das für ein Mensch, der so Etwas thut?“ Hätte S. 192 er ihn nicht der Härte und Rohheit beschuldigt? Und seine Frau sollte ihr Kind gar nicht mehr sehen, sollte nicht zum letzten Mal mehr seine Stimme hören, sein sträuben sehen, sondern wie eine Kriegsbeute nahm es der Vater mit sich fort. Nichts von all Dem beachtete jener Gerechte mehr, trunken von Verlangen. Er sah nichts Anderes mehr vor sich als den Gehorsam gegen den göttlichen Befehl; da galt kein Kind mehr und kein Weib. Oder vielmehr, er kannte ja selber den Ausgang der Sache nicht. So sehr war er in jeder Hinsicht bestrebt, ein reines Opfer darzubringen und es nicht durch Thränen und Widersprüche zu beflecken. Höre, mit welcher Sanftmuth Isaak fragt, und was er zu ihm spricht: „Siehe, da ist Holz und Feuer, wo ist denn das Opferlamm?“ Und was antwortet der Vater? „Gott wird sich schon ein Lamm zum Opfer ausersehen, mein Kind!“3 (Es klingt Das zugleich wie eine Prophezeiung, daß Gott sich einst seinen Sohn zum Opfer ausersehen werde.) Und so ist es denn sofort auch damals geschehen. Sage, Abraham, warum bewahrst du auch gegen Den selbst, der geopfert werden soll, das Geheimniß? Ja, antwortet er, ich fürchte, er möchte ohnmächtig zusammensinken und er möchte dann unwürdig befunden werden. Siehst du, mit welch sorgfältiger Umsicht er bei der ganzen Sache gehandelt hat?

Treffend sagt also die heilige Schrift: „Deine Rechte soll nicht wissen, was deine Linke thut,“ das heißt: Wenn uns Jemand so nahe steht wie ein Glied des eigenen Leibes, so sollen wir ihm keine Mittheilungen machen ausser im Nothfalle. Denn daraus entsteht mancher Nachtheil. Man wird eitel, es werden Schwierigkeiten gemacht. Daher sollten wir vor uns selber das Geheim- S. 193 niß bewahren, wenn es möglich wäre, damit wir der verheissenen Seligkeit theilhaftig werden durch die Gnade und Barmherzigkeit unsers Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater und dem heiligen Geiste sei Lob, Herrlichkeit und Ehre jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.

S. 194


  1. Is. 1, 17. ↩

  2. Matth. 6, 3. ↩

  3. Gen. 22, 7. 8. ↩

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Homilien über den I. Brief an Timotheus (BKV)

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