II.
Wie kommt es denn, o Paulus, daß du dem Titus befiehlst, den Widersachern das Maul zu stopfen, wenn du hier willst, daß man sie meiden soll, da ihr ganzes Treiben ihnen zum Verderben gereicht? Er sagt aber vornehmlich, daß man Das niemals zu ihrem Nutzen thue; sie haben keinen Vortheil davon, da sie nun einmal in verkehrten Anschauungen befangen sind. Freilich, wenn sie auch Andere schädigen wollen, dann muß man sich gegen sie zum Kampfe stellen und ihnen mannhaften Widerstand leisten. Wenn du in die Nothwendigkeit versetzt wirst, indem du siehst, daß auch Andere verdorben werden, dann darfst du nicht schweigen, dann stopfe ihnen das Maul mit Rücksicht auf die Andern, die dem Verderben anheimfallen würden. Überhaupt ist es nicht möglich, daß ein eifriger und frommer Bischof ohne Kampf lebt.1 Im Übrigen thue so, wie ich sagte. Aus Müssiggang und aus überflüssigem Philosophiren stammt ja dieses Gezänke, das nur um Worte sich dreht. Auch überflüssiges Gerede ist strafbar; man muß seine Zeit der Belehrung, dem Gebete, der Danksagung widmen. Es ist nicht recht, mit dem Gelde zu geizen, mit Worten dagegen nicht, sondern gerade umgekehrt; S. 489 man soll nicht ohne Weiteres vor Jedermann sein Herz ausleeren.
Was bedeuten die Worte: „Sie sollen sich darum kümmern, guten Werken vorzustehen“? Sie sollen nicht warten, bis die Armen zu ihnen kommen, sondern selber sich umsehen nach Solchen, die ihrer Hilfe bedürfen. Auf solche Weise kümmert man sich. So wird er die Sache mit dem richtigen Eifer betreiben. „Und er bleibt nicht unfruchtbar.“ Denn bei den Akten der Wohlthätigkeit haben nicht so fast die Empfänger als die Geber den Gewinn und Profit; Das leistet ihnen bei Gott großen Vorschub. Bei jenen Maulhelden aber ist des Streites kein Ende.
Den unverbesserlichen Menschen also nennt der Apostel einen Häretiker. Gleichwie es eine Nachlässigkeit wäre, mit einem Menschen, der Hoffnung auf eine Sinnesänderung gibt, sich nicht zu befassen, so wäre es ein Unsinn und die größte Thorheit, bei unheilbaren Kranken Heilversuche zu machen. Wir machen sie dadurch nur noch dreister.
Es sollen auch die Unsrigen lernen, guten Werken vorzustehen für die nothwendigen Bedürfnisse, damit sie nicht unfruchtbar seien.
Siehst du, wie der Apostel sich mehr um die Geber als um die Empfänger kümmert? Er hätte vielleicht auf vielerlei Weise für die Reisebedürfnisse jener beiden Männer sorgen können, aber, sagt er, ich denke an die Unsrigen. Was hätte es denn Diesen genützt, wenn Andere ihren Geldschrank ausgeleert und den Lehrern den Unterhalt verschafft hätten? Ganz und gar Nichts; sie wären „unfruchtbar“ geblieben. Wie? Hätte denn nicht Christus, welcher mit fünf Broden fünftaufend und mit sieben Broden viertausend Menschen speiste, sich und seinen Jüngern auch Nahrung verschaffen können? Warum ließ er dann von S. 490 Frauen sich dieselbe reichen? „Es folgten ihm Frauen,“ heißt es, „die ihn bedienten.“2 Er will uns damit gleich von vornherein zeigen, daß es ihm um Die zu thun ist, welche Wohlthaten spenden. Konnte nicht Paulus, der auch Andere durch seiner Hände Arbeit unterstützte, ohne jegliche fremde Unterstützung leben? Aber du siehst, daß er Almosen empfängt und verlangt. Höre, warum! „Es ist mir,“ sagt er, „nicht um die Gabe, sondern um den reichlichen Lohn für euch selbst zu thun.“3 Und in den ersten Zeiten des Christenthumes, als die Gläubigen all ihre Habe verkauften und den Erlös zu den Füßen der Apostel legten, bemerkst du da, wie die Apostel mehr für diese als für die Empfänger besorgt waren? Denn hätten sie bloß an die Armen gedacht, dann hätten sie mit Ananias und Sapphira nicht viel Aufhebens gemacht, als sie das Geld hinterzogen. Und Paulus hätte nicht verordnet, man solle nicht „aus Unwillen und Zwang“4 Almosen spenden. Was sagst du, o Paulus? Bist du den Armen im Wege? Nein, erwidert er; ich habe nicht sie, sondern die Geber im Auge. Denke auch an den Propheten, als er dem Nabuchodonosor jenen vortrefflichen Rath gab, wobei er auch nicht bloß an die Armen gedacht hat. Er sagte nicht einfach: „Gib den Armen!“ sondern wie? „Tilge durch Almosen deine Sünden und deine Ungerechtigkeiten durch Mitleid mit den Armen!“5 Leere deine Geldtruhen aus, will er sagen, nicht bloß damit die Armen Etwas bekommen, sondern auch damit du dich von der Strafe loskaufest. Und wiederum spricht Christus: „Verkaufe Alles, was du hast und gib es den Armen, dann komm und folge mir nach.“6 Siehst du, daß auch hier die Nachfolge Christi der Grund jenes Gebotes ist? Da nämlich das Geld ein Hinderniß für dieselbe bildet, so befahl der Herr es den Armen zu geben, um die S. 491 Seele anzuleiten zu Erbarmen und Mitleid, zur Verachtung des Geldes, zur Meidung des Geizes. Wer einmal gelernt hat, dem, der Nichts hat, zu geben, der wird mit der Zeit auch lernen, von denen, die Etwas haben, Nichts zu nehmen.
Die Wohlthätigkeit gegen Arme macht uns Gott ähnlich. Das jungfräuliche Leben, das Fasten, das Liegen auf bloßer Erde ist allerdings schwieriger als das Almosengeben; aber Nichts ist so kräftig und mächtig, um das Feuer unserer Sünden auszulöschen als eben das Almosen. Das geht über Alles, und stellt diejenigen, die es gerne spenden, geradezu neben den König des Himmels. Ganz mit Recht. Denn das jungfräuliche Leben, das Fasten, die Abtödtung bleibt auf Den beschränkt, der es übt, einem Andern kommt es nicht zu gute: das Almosen aber erstreckt sich auf die Gesammtheit, und schlingt ein Band um die Glieder Christi. Aber gute Werke, die nicht auf den Einzelnen beschränkt sind, sondern sich auf eine große Anzahl erstrecken, stehen bedeutend höher.
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Im Texte steht μάχης ἀνέχεσθαι, was Lorenzi übersetzt: „Am Gezänke eine Freude finden.“ Aber ἀνέχεσθαι = „erträglich finden“ mit dem Genitiv wird in der griechischen Prosa kaum vorkommen. Wir lesen deßhalb lieber ἀπέχεσθαι = „sich enthalten“, wie auch die lateinische Uebersetzung hat: a pugna abstinere. ↩
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Mark. 15, 41. ↩
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Phil. 4, 17. ↩
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II. Kor. 9, 7. ↩
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Dan. 4, 24. ↩
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Matth. 19, 21. ↩