III.
Diese Worte sind zwar an die Hebräer gerichtet, sie sind aber auch eine gemeinsame Mahnung für Viele der hier Versammelten. Wie und auf welche Weise? Sie gelten für die schwachen und kleinmüthigen Seelen. Denn wenn sie sehen, daß die Bösen glücklich, sie selbst aber unglücklich sind, so trauern sie und sind unwillig, indem sie jenen ihre Strafe und Züchtigung wünschen, oder für sich den Lohn ihrer eigenen Arbeiten erwarten: „Denn nur noch eine kleine Weile, und es wird kommen, der da kommen soll, und er wird nicht zögern,“ sprach damals Paulus. Und wir sagen daher den Nachlässigen Folgendes: Sicher wird Strafe erfolgen; sicher wird er1 kommen, vor der Thür ist die Auferstehung. Woraus, sagt man, erhellet Das? Ich berufe mich nicht auf die Propheten, denn ich spreche jetzt nicht ausschließlich zu Christen, sondern ich habe die Gewißheit, wenn auch ein Heide da ist, ihm die Beweise zu liefern und ihn zu belehren. Höre aber wie. Vieles hat Christus vorhergesagt. Wenn nun Dieses nicht in Erfüllung gegangen ist, so magst du auch Jenes nicht glauben; ist aber Alles wirklich geschehen, warum willst du denn in Bezug auf das Übrige zweifeln? Wäre es doch viel schwieriger, falls Nichts seine Erfüllung gefunden hätte, zu glauben, als, nachdem sich Alles erfüllt hat, zu zweifeln. Ich will aber die Sache S. 322 lieber an einem Beispiele klar machen. Christus hat geweissagt, daß Jerusalem werde erobert werden, und zwar mit einer solchen Zerstörung, daß es nicht mehr erstehen werde;2 und die Weissagung ist in Erfüllung gegangen. Er hat gesagt, daß eine große Trübsal sein werde, und sie ist eingetreten.3 Er hat gesagt, daß die Verkündigung des Evangeliums gleich dem ausgesäeten Senfkörnlein sich ausbreiten werde:4 und wir sehen dasselbe täglich den Erdkreis durchlaufen. Er hat gesagt, daß Diejenigen, welche Vater oder Mutter oder Brüder oder Schwestern verlassen haben, sowohl Väter als Mütter haben werden;5 und wir sehen Dieß in der That sich erfüllen. Er hat gesagt: in der Welt werdet ihr Trübsal haben; allein habet Muth, ich habe die Welt überwunden;6 d. h. niemand wird euch besiegen; und wir gewahren, daß Dieß wirklich in Erfüllung gegangen ist. Er hat gesagt, daß die Pforten der Hölle die Kirche, wenn sie auch verfolgt würde, nicht überwältigen werden, und daß Niemand das Evangelium vernichten werde;7 und die Erfahrung bezeugt die Wahrheit dieser Vorhersagung. Und doch war es damals, als er Dieses aussprach, noch nicht so gar glaubwürdig. Warum? Weil das Ganze nur in Worten bestand, und noch keinen Bereis für das Gesamte geliefert hatte, so daß also jetzt eine viel größere Glaubwürdigkeit dafür besteht. - Er hat gesagt, daß nach der Verkündigung unter allen Völkern das Ende kommen werde;8 und siehe, wir sind zum Ende hingelangt; denn der größte Theil des Erdkreises hat das Evangelium empfangen: also steht das Ende bevor. Erzittern wir, Geliebte! Wie aber, in Bezug auf das Weltende bist du besorgt? Allerdings ist dieses ganz nahe gekommen, aber das Leben und der Tod eines Jeden sind noch viel näher; S. 323 denn „die Zeit unserer Jahre,“ heißt es, „ist siebenzig Jahre, und wenn mit Kräften, achtzig Jahre.“9 Nahe ist der Tag des Gerichtes, und wenn Das der Fall ist, o so fürchten wir uns doch! „Ein Bruder erlöset ja nicht, oder erlöset ein Mensch?“10 Wir werden dort großen Reueschmerz haben, „aber im Tode ist keiner, der deiner gedenket;“11 darum heißt es: „Lasset uns frühzeitig mit Danksagung vor sein Angesicht kommen,“12 d. h. vor seiner Ankunft; denn hier haben unsere Werke noch Kraft, dort aber nicht mehr. Wenn Jemand, sage mir, uns nur kurze Zeit in einen glühenden Feuerofen legte, würden wir für unsere Befreiung nicht Alles aufbieten, selbst wenn wir unser Vermögen opfern und uns der Knechtschaft unterziehen müßten? Wie viele sind in schwere Krankheiten gefallen, und würden gerne, hätte man ihnen die Wahl gelassen, Alles für ihre Rettung hingegeben haben? Wenn daher hienieden eine Krankheit, die nur kurze Zeit dauert, uns in solche Betrübniß versetzt; was werden wir dort anfangen, wo die Reue fruchtlos ist? Mit wie vielen Übeln sind wir jetzt behaftet und merken es nicht! Wir beißen einander, wir verzehren einander, indem wir Unrecht begehen, anklagen, verleumden und den Ruhm des Nächsten benagen. Und nun betrachte, wie schwer die Sache ist: will Jemand den Ruf des Nächsten untergraben, so sagt er: Dieß hat Jener von ihm gesagt; o Gott verzeihe mir, du mögest mich nicht erforschen, ich bin über das Gerücht Rechenschaft schuldig. Warum sagst du es denn, wenn du es nicht glaubst? Warum sprichst du davon? Warum bewirkst du durch das viele Geschwätz, daß es glaubwürdig erscheint? Warum verbreitest du das Gerede, das nicht wahr ist? Du glaubst es nicht, und rufst Gott an, daß er dich nicht erforsche? Dann rede nicht S. 324 davon, sondern schweige, und du wirst von aller Furcht frei sein.