15. Akepsimas
Zu derselben Zeit lebte Akepsimas, dessen Ruhm im ganzen Morgenland weit verbreitet ist. Dieser verbrachte, in einem Häuschen eingeschlossen, sechzig Jahre, von niemand gesehen, mit niemand sprechend, sondern nur in sich schauend und Gott betrachtend. Daraus schöpfte er allen Trost nach dem Prophetenwort, das da spricht: „Erfreue dich im Herrn, und er wird dir die Wünsche deines Herzens erfüllen1.” Durch ein enges Loch streckte er die Hand heraus, um die gereichte Nahrung in Empfang zu nehmen. Die Öffnung war aber nicht in gerader Führung, sondern mit einer Brechung angelegt, damit Neugierige durch sie nicht S. 118 hineinblicken konnten. Als Nahrung wurden ihm Linsen, in Wasser eingeweicht, gebracht. Einmal in der Woche ging er nachts heraus, um das nötige Wasser aus der nahen Quelle zu schöpfen.
Als ihn einst ein Schäfer, der dort seine Lämmer weidete, in der Dunkelheit von ferne gewahrte, glaubte er, es sei ein Wolf (denn mit vielem Eisen belastet, ging er gebückt dahin), und schwang die Schleuder, einen Stein nach ihm zu werfen. Da aber die Hand lange unbeweglich blieb und den Stein nicht werfen konnte, bis der Mann Gottes Wasser geschöpft hatte und wieder zurück kam, gewahrte er seinen Irrtum, ging am Morgen zum Kloster, erzählte das Geschehene und bat um Verzeihung für seinen Fehler. Diese erhielt er auch, hörte aber dabei nicht des Alten Stimme, sondern wurde durch Bewegungen der Hände dessen Wohlwollen inne.
Aber ein anderer Mann, von übler Neugierde getrieben, wollte gern wissen, womit der Greis sich die ganze Zeit beschäftige, und vermaß sich, auf eine neben der Umfriedung gepflanzte Platane zu steigen. Aber alsbald erntete er die Früchte seines Wagnisses. Denn die eine Seite seines Körpers, vom Scheitel des Hauptes bis zu den Füßen, war gelähmt. Da trat er flehend heran und bekannte das Vergehen. Der Alte eröffnete ihm, daß er nur durch Fällung des Baumes die Gesundheit wieder erlangen werde. Damit nämlich nicht ein anderer Gleiches versuche und Gleiches erleide, wollte er auf der Stelle den Baum gefällt wissen. Dem Falle desselben folgte der Erlaß der Strafe. So groß war die Festigkeit dieses Gottesmannes, so große Gnade hatte er von dem Kampfrichter.
Da er sich aber zur Abreise von hinnen anschickte, sagte er vorher, daß er nach fünfzig Tagen sein Leben beenden werde, und nahm alle, die ihn sehen wollten, auf. Als auch der Bischof der Kirche zu ihm kam, drang er in ihn, das Joch des Priestertums auf sich zu nehmen. Er sprach: „Ich kenne, o Vater, deine hohe Vollkommenheit und das Übermaß meiner Armut. Aber, mit der Verwaltung des hohepriesterlichen Amtes betraut, nehme ich kraft dieses, nicht kraft jener, die Priesterweihe vor. Nimm also das Geschenk des S. 119 Priestertums an, wobei meine Rechte den Dienst leistet, die Gnade des Heiligen Geistes aber Spenderin ist.” Darauf soll er geantwortet haben: „Da ich nach wenigen Tagen von hier scheiden werde, will ich darob nicht streiten. Wenn ich aber noch lange zu leben hätte, würde ich ganz und gar diese schwere und furchtbare Bürde des Priestertums fliehen, aus Furcht vor der Rechenschaft über das Anvertraute. Da ich aber in Kürze hinweggehe und die Erde verlasse, will ich bereitwillig das Befohlene annehmen.” Alsbald beugte er von selbst die Knie und erwartete die Gnade. Der Bischof legte ihm die Hand auf und stellte sich in den Dienst des Heiligen Geistes.
Nur wenige Tage verlebte er im Priestertum, vertauschte Leben mit Leben und empfing das nicht alternde, leidlose für dieses sorgenvolle. Da alle den Leichnam für sich in Anspruch nehmen und ins eigene Dorf überführen wollten, schlichtete einer den Streit, indem er den Eid des Heiligen bekannt gab. Dieser habe ihn beschworen, seinen Leib am Sterbeorte selbst dem Grabe zu übergeben. So sind die Bürger des Himmels auch für die Zeit nach dem Tode noch um die Demut besorgt. Während ihres Lebens verschmähten sie hochmütige Gesinnung, und nach ihrem Tode suchten sie keine Ehre bei Menschen, sondern ihre ganze Liebe richteten sie auf den Bräutigam gleich züchtigen Frauen, die nur um die Liebe und das Lob der Gatten sich mühen, das Lob von anderen aber verachten. Darum verherrlichte sie der Bräutigam, eben weil sie nicht wollten, und verlieh ihnen übermäßigen Ruhm bei den Menschen. Denn wenn jemand, um das Göttliche besorgt, Himmlisches erbittet, fügt er hierzu noch sehr viele andere Gaben, indem er das Erbetene vielfach schenkt. Das hat ja auch unser Gesetzgeber gesagt: „Bittet um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles übrige wird euch dazu gegeben werden2.” Und wiederum: „Wer Vater und Mutter und Brüder und Frau und Kinder meinetwegen und meines Evangeliums wegen verläßt, wird in diesem Leben hundertfach empfangen S. 120 und im zukünftigen das ewige Leben erben3.” So hat er gesprochen und getan. Uns aber möge es vergönnt sein, durch diese Worte belehrt und durch die Gebete jener unterstützt, nach dem Ziele und dem Kampfpreise unserer himmlischen Berufung zu streben, in Jesus Christus unserm Herrn, dem Ehre sei in Ewigkeit! Amen.