48. Von der bosheit des Leudast
Da aber dies Buch zu Ende geht, will ich noch einiges von den Taten dieses Menschen berichten, wobei es aber gut sein wird, von seiner Herkunft, seiner Heimat und seinem Charakter zu beginnen.
An der Küste von Poitou liegt eine Insel, mit Namen Gracina(3), dort wurde er geboren; sein Vater war Leuchadius, Knecht bei einem königlichen Winzer(4) Er wurde alsdann für den DieM ausgehoben und der königlichen Küche zugeteilt. Da er jedoch in seiner Jugend triefäugig war und deshalb der scharfe Rauch ihm die Augen schmerzen machte, nahm man ihn vom Topfe(5) und brachte ihn an den Backtrog. Da tat er nun so, als ob er bei seinem Sauerteig sich ganz wohl befände, aber im stillen dachte er auf Flucht und entkam auch wirklich dem Dienst. Als er zweioder dreimal bereits so entwischt und wieder eingehölt worden war und man ihn nicht anders von einer abermaligen Flucht zurückhalten konnte, schnitt man ihm endlich zur Strafe das eine Ohr ab. Doch floh er abermals, als er schon dies Schandmal an sich trug und auf keine Weise verbergen konnte, zur Königin Marcovefa, welcher König Charibert ganz ergeben war und die er statt S. 94 ihrer Schwester seinem Lager beigesellt hatte(1) Diese nahm sich gern seiner an, beförderte ihn und machte ihn zum Aufseher über ihre besseren Pferde. Seitdem wurde er von Eitelkeit und Hochmut geplagt und wollte ihr Marschall werden. Er erlangte dies auch und fing nun an auf alle herabzusehen und jedermann gering zu achten, blähte sich in eitlem Stolze gewaltig auf und überließ sich zügelloser Schwelgerei und allen Lüsten. In Sachen seiner Gebieterin wurde er, als ihr besonderer Schützling, auch bald hierhin, bald dorthin gesandt. Bei ihrem Tode war er durch Erpressungen bereits reich geworden, und es gelang ihm, auch bei König Charibert seine Stelle durch Geschenke zu behaupten, die er ihm machte.
Später wurde er zur Strafe für unsere Sünden als Graf nach Tours geschickt. Dort brüstete er sich noch mehr in dem eitlen Gefühl seiner hohen Würde, dort zeigte er sich habgierig und räuberisch, anmaßend und streitsüchtig, ausschweifend und zügellos. Durch das Anstiften von Zwietracht und Angebereien scharrte er sich ein nicht unbedeutendes Vermögen zusammen. Da aber nach dem Tode Chariberts die Stadt zu Sigiberts Anteil geschlagen wurde(2) und er sich auf Chilperichs Seite stellte, wurde alles, was er ungerechterweise zusammengebracht hatte, von den Anhängern Sigiberts geplündert. Als dann Chilperich durch seinen Sohn Theudebert die Stadt Tours einnahm(3) und ich schon nach Tours gekommen war, wurde er mir von Theudebert dringend empfohlen; er sollte nämlich seine Grafschaft, die er früher innegehabt hatte, wieder erhalten. Damals war er sehr unterwürfig und demütig gegen mich und schwor mir zu wiederholten Malen am Altar des heiligen Bischofs Martinus, er werde nie- S. 95 mals etwas Unrechtes unternehmen und sich mir in allen Dingen, sowohl in meinen eigenen Angelegenheiten, als in Bedrängnissen der Kirche, stets gehorsam beweisen. Denn er fürchtete dazumal noch, wie es auch wirklich nachher kam, König Sigibert möchte die Stadt wiederum in seine Gewalt bekommen(1). Nach dessen Tode, als die Stadt abermals unter Chilperichs Herrschaft kam, erhielt er zwar seine Grafschaft zurück, jedoch plünderte später Merovech, als dieser nach Tours kam(2), ihm noch einmal alle seine Habe. Während der zwei Jahre aber, daß Sigibert Tours in seiner Gewalt gehabt hatte, hielt er sich in der Bretagne versteckt auf. Als er dann, wie bereits erzählt, seine Grafschaft zurückerhielt, betrug er sich so unbedacht und anmaßend, daß er selbst mit Panzer und Harnisch, den Köcher auf der Schulter, einen Speer in der Hand und den Helm auf dem Haupte in das Kirchenhaus(3) kam, vor niemand sich sicher fühlend, weil er allen seind war. Wenn er zu Gericht saß im Kreise von angesehenen Männern, Laien oder Geistlichen(4), und einen fand, der Recht und Gerechtigkeit üben wollte, so wurde er ganz wütend und brach in Schmähungen gegen die Bürger aus. Priester ließ er in Fesseln legen, waffentragende Dienstleute mit Knütteln schlagen, und so groß war seine Grausamkeit, daß es sich kaum sagen läßt. Als Merovech, der seine Habe geplündert hatte, von Tours abgezogen war(5), trat er fälschlich als Ankläger gegen uns auf und behauptete zu Unrecht, Merovech habe auf unfern Rat ihm sein Eigentum genommen. S. 96 Nachdem er uns deshalb manchen Schaden zugefügt hatte, versöhnte er sich jedoch wieder mit uns, erneuerte seine früheren Eide und nahm selbst die Decke über dem Grabe des heiligen Martinus zum Zeugen, daß er nimmer wieder etwas Feindliches gegen uns unternehmen würde.