12. Vom Ende des Ursio und Bertefred
König Childebert aber bot sein Heer auf und befahl ihm, nach dem Orte aufzubrechen, wo Ursio und Bertefred sich eingeschloffen hielten. Es lag nämlich im Woevregau(3) ein Gehöft, über das ein steiler Berg emporragte, auf dessen Gipfel war eine Kirche zu Ehren des heiligen und hochseligen Martinus erbaut(4) Hier soll vor Alters eine Burg gestanden haben; jetzt aber war die Stelle nicht durch menschliche Kunst, sondern nur durch ihre Lage fest. In diese Kirche nun hatten sich die Obengenannten mit ihrer Habe, ihren Weibern und ihren Dienern eingeschloffen. König Childebert aber bot, wie gesagt, sein Heer auf und befahl ihm, dorthin zu ziehen. Aber die Leute verwüsteten, als sie aufbrachen, ehe sie noch jenen nahe kamen, allenthalben ihre Höfe und ihr Hab und Gut, wo sie es nur finden konnten, mit Feuer und Schwert. Als sie aber an jenen Ort gelangten, S. 19 stürmten sie den Berg hinauf und umschlossen die Kirche mit Heeresmacht. Zum Anführer aber hatten sie dazumal Godegisil, den Schwiegersohn des Herzogs Lupus. Da sie jedoch jene aus der Kirche nicht Heraustreiben konnten, machten sie sich daran, Feuer anzulegen. Als dies Ursio sah, legte er sein Schwert an, stürzte heraus und richtete ein solches Blutbad unter den Belagerern an, daß keiner von allen, die ihm unter die Augen kamen, am Leben blieb. Da fiel auch Trudulf, der Graf der königlichen Pfalz(1) und viele andre von diesem Heere fanden den Tod. Und als Ursio schon erschöpft vom Morden war, wurde er von einem am Schenkel getroffen, fiel verwundet zu Boden und, indem die andren über ihn herfielen, verlor er das Leben. Als Godegisil dies sah, rief er aus: „Nun sei Friede, siehe, der schlimmste Feind unsres Herrn liegt am Boden, dem Bertefred aber sei das Leben geschenkt." So sprach er, und sofort machte sich alles Volk daran, die Sachen zn plündern, die in der Kirche zusammengebracht waren. Indessen bestieg aber Bertefred ein Roß und nahm seinen Weg nach der Stadt Verdun. Dort meinte er in einer Kapelle, die in dem Kirchenhause war, sicher zu sein, besonders da auch Bischof Agerich(2) in diesem Hause wohnte.
Da aber König Childebert gemeldet wurde, Bertefred sei entflohen, ergriff ihn Schmerz in seinem Herzen und er sprach: „Entgeht dieser dem Tode, so wird Godegisil meinen Händen nicht entrinnen." Es wußte nämlich damals der König noch nicht, daß er in ein Kirchenhaus entkommen sei, sondern er meinte, er habe sich sonst wohin geflüchtet. Da geriet Godegisil in große Furcht, setzte sich mit dem Heere wiederum in Bewegung und umzingelte das Kirchenhaus mit seinen Bewaffneten. Da der Bischof ihn aber nicht ausliefern konnte, sondern sogar S. 20 schützen wollte, stiegen sie auf das Dach, schleuderten die Ziegel und Balken, womit die Kapelle gedeckt war, auf ihn und brachten ihn so zu Tode. So kam er mit dreien seiner Diener um. Da war der Bischof tief betrübt, nicht nur, daß er ihn nicht zu schützen vermocht hatte, sondern auch, daß er den Ort, wo er zu beten Pflegte und wo Reliquien der Heiligen aufbewahrt wurden, mit Menschenblut beflecken sah. König Childebert schickte zwar Gesandte mit Geschenken an ihn, um ihn den Schmerz vergessen zu machen, aber er wollte keinen Trost annehmen. Viele flohen in diesen Tagen aus Furcht vor dem König in andre Gegenden. Einige wurden auch der hohen Aemter(1) entkleidet, die sie innegehabt hatten, und andere an ihre Stelle gesetzt.