8. Was die Geschichtsschreiber von Aetius erzählen
Nachdem ich nun dies auseinandergesetzt und der Reihe nach erzählt habe, wäre es unrecht, mit Stillschweigen zu übergehen, was Renatus Frigeridus in seinem Geschichtswerke1 von S. 72 dem erwähnten Aetius meldet. Er erzählt nämlich im zwölften Buche seiner Geschichten, wie nach dem Tode des göttlichen2 Honorius der kleine Valentinianus, der erst fünf Jahre alt war, von seinem Vetter Theodofius zum Kaiser erhoben worden sei, wie sich aber zu Rom der Tyranns3 Johannes auf den Thron geschwungen habe, und seine Gesandten vom Kaiser4 verächtlich behandelt worden seien, und fährt dann mit folgenden Worten fort:
»Jndessen kehrten die Gesandten zu dem Tyrannen zurück und brachten ihm drohende Botschaft. Deshalb schickte er den Aetius, der damals Aufseher des Palastes5 war, mit einer bedeutenden Summe Goldes zu den Hunnen, die ihm von der Zeit her, da er als Geifel bei ihnen gewesen war, bekannt und freundschaftlich verbunden waren, und gab ihm den Befehl, daß, sobald die Feinde in Italien eindringen würden, er ihnen in den Rücken fallen solle, er selbst würde sie von vorn angreifen. Und weil von diesem Mann in der Folge noch öfters die Rede sein muß, erscheint es nötig, hier seiner Abkunft und seiner Sinnesart zu gedenken. Sein Vater Gaudentius war aus einem vornehmen Gefchlecht in der Provinz Scythien; er begann seine kriegerische Laufbahn unter den Haustruppen und wurde bis zum Oberbefehlshaber der Reiterei6 befördert. Seine Mutter, S. 73 eine reiche und vornehme Frau, war aus Italien. Aetius, ihr Sohn, schon als Knabe in die Leibwache des Kaisers aufgenommen, wurde drei Jahre dem Alarich und später den Hunnen als Geisel gegeben. Er ward in der Folge der Schwiegersohn des Earpilio, des frühern Befehlshabers der Haustruppen, und von Johannes zum Aufseher des Palastes befördert. Er war von mittlerer Größe, männlicher Gestalt und angemessener Stärke, so daß er weder schwächlich noch zu beleibt war, hurtig und gewandt, ein sehr kühner Reiter, ein geschickter Bogenschütze und unermüdlich im Kampf mit dem Wurfspeere, ein sehr erfahrner Kriegsmann, aber zugleich auch vertraut mit den Geschäften des Friedens; alle Habsucht lag ihm fern, und die Leidenschaft vermochte wenig über ihn; mit vielem Verstand begabt, ließ er sich durch schlechte Ratgeber niemals von seinem Vorhaben abbringen; Beleidigungen übersah er, die Arbeit war seine Lust, Gefahren schreckten ihn nicht, und Hunger, Durst und Nachtwachen hielt keiner aus wie er. Und so schien es ihm von frühester. Jugend an vorhergefagt, zu welcher bedeutenden Stellung er vom Schicksal bestimmt sei. Es wird aber von ihm zu seiner Zeit und an seinem Orte weiter die Rede sein.«
Solches erzählt der erwähnte Geschichtschreiber von Aetius. Als aber Kaiser Valentinian zu männlichen Jahren gekommen war, beschlich ihn die Furcht, Aetius möchte, um sich selbst auf den Thron zu schwingen, ihn töten, und er ermordete ihn deshalb, 454 ohne daß er ihm etwas vorzuwerfen hatte. Danach aber, als der Kaiser einst von seinem Throne herab auf dem Marsfelde zum Volke redete, wurde er selbst von Occila7, einem der Leibwächter des Aetius, der auf ihn zutrat, mit dem Schwerte 455 durchbohrt. So endeten diese beiden Männer.
Ein Schriftsteller, von dem wir nur durch Gregor wissen. Sein voller Name war Renatus Profuturus Frigeridus ( oder Frigiredusx die Namen Profuturus und Frigeridus begegnen fiir zwei verschiedene Persönlichkeiten auch bei Ammianus Marcellinus XXXI 7, 3—7; 8, 3; 9, 1), vgl. unten Katz. 9. Dort ist auch das Werk des Sulpieius Alexander benutzt. Auch ihn kennen wir nur aus den Anführungen Gregors Den Frigeridus hält J. Grimm für einen Gothen, meint aber gleichzeitig, der Name sei vielleicht nur ein Pseudonym für Cassiodor (Kleine Schriften IlI, 188). Mommsen (Borrede zur Ausgabe des Jordanes, S. XXXVl f.) glaubt, daß er Priscus benutzt habe, jenen vorzüglichen griechischen Historiker, den auch Jordanes exzerpierte und dessen Spuren Mommsen (Ges. Schriften 1V. 543 Anm. 4) bei Gregor selbst (in der Schilderung der Hunnenschlacht im 7. Kap.) wiederfinden will. Allein Mommsen übersieht, daß Priseus it. 8 Söhne eines Frankenkönigs erwähnt, deren Zwistigkeiten Attila den Vorwand zu seinem Zuge geliefert hätten, während Gregor Raps 9) spkgfältige Untersuchungen über den Ursprung des fränkischen Königtums anstellt und klagt, in seinen Quellen keine Angaben darüber finden zu können. UUsTchEV ist UUch alles, was wir über die Lebenszeit der beiden Schriftsteller sagen können· MOMMfen la. a. O. 531 nnd 543) meint, daß die Charakteristik des Aetiits THOSE) ZU VEssEU Lebzeiten («s· 454) niedergeschrieben sei und das Werk des Frigeridrts UVOVhUUPt nicht bis zur Hunnenschlacl)t gereicht habe. Auf keinen Fall wird man ihn und Sulpicius ins 6. Jahrhundert seyen dürfen, wie dies gelegentlich versucht worden ist: niemand hatte damals mehr solches Interesse für die Details der römischen Kaisergeschichte des 4. und 5. Jahrhunderts, wie sie jene beiden Historiker zeigen. Daß wir ihre Werke nicht mehr besitzen, ist in jeder Beziehung ein großer Verlust für uns; vor allem würden sie uns die literarhistorische Verbindung Gregors nach rückwärts mit der spätrömischen Geschichtschreibung herstellen, die jetzt völlig im Dunkeln liegt. Daß ihre Werke in der Weise des Ammianus Marcellinus abgefaßt gewesen seien, wie man gewöhnlich liest, ist gleichfalls mehr behauptet als bewiesen. I ↩
Bezeichnung des Kaisers, gewiß aus Frigeridus übernommen. ↩
Tyrann bezeichnet hier, wie stets im Mittelalter und in der Antike, nicht nur den Herrscher, der seine Gewalt mißbrclllchks sonder« CUch jede« spkellekcht fVU st tüchtigen) Regenten, der sie auf unrechtmäßige Weise erworben hat. ↩
Theodosius Il. ↩
Cura palatti oder curopalatem der Titel eines hohen Hofbeamten ↩
Er wurde magister equitum. ↩
Andere Schkkftsteller nennen zwei Leibwächter als die Mörder, deren Namen U VWVCCIITUUS CVMES (M. G« Anat. unt. XI, 86) Optila und Thrauftila lauten. ↩
