Kindheit und Berufung
S. 13 (1) Ich bin Patricius, ein Sünder, der ungebildetste und geringste unter allen Gläubigen und ein Gegenstand der Verachtung für viele. Mein Vater war Calpornus, Diakon, ein Sohn des Priesters Potitus, aus dem Dorf Bannavem Taberniae. Nicht weit von diesem Ort besaß er ein Landgut, von wo aus ich in die Knechtschaft geschleppt wurde. Sechzehn Jahre beiläufig war ich damals alt und kannte den wahren Gott noch nicht. Als Unfreier kam ich nach Irland zugleich mit vielen tausend anderen, ganz nach unserem Verdienst; denn wir hatten uns von Gott entfernt, seine Lehren nicht beachtet und auf seine Priester nicht gehört, die uns ermahnten, an unser Heil zu denken. So ließ denn der Herr den Grimm seines Zornes über uns kommen und zerstreute uns unter viele Volker bis an die Grenzen der Welt, wo ich Geringer mich jetzt noch unter Fremden aufhalte. (2) Dort erschloß der Herr mir Ungläubigem den Sinn, daß ich, wenn auch spät, mir meiner Sünden bewußt wurde und mich mit ganzem Herzen zum Herm, meinem Gott, bekehrte, der auf meine Niedrigkeit herabblickte und sich meiner unwissenden Jugend erbarmte. Er hatte mich beschützt, bevor ich von ihm wußte, Verstand hatte und zwischen Gut und Bose unterscheiden konnte. Er hatte mich behütet S. 14 und getröstet wie ein Vater seinen Sohn. (3) Deshalb kann ich nicht anders als reden — es ist zwar nicht nützlich — von den großen Wohltaten und der großen Gnade, die Gott mir erwiesen hat im Lande meiner Gefangenschaft. Dies ist ja unser Dank, daß wir nach Zurechtweisung und Erkenntnis Gottes seine Wunder preisen und bekennen vor allen Völkern unter dem ganzen Himmel. (4) Denn ein anderer Gott ist nicht, war nicht und wird in Zukunft nicht sein als Gott Vater, der ungeborene, anfanglose, von dem aller Anfang kommt, der Allerhalter, wie wir ihn nennen, und sein Sohn Jesus Christus, der, so bekennen wir, immer mit dem Vater war vor Anfang der Welt, vor jedem Anfang geistig vom Vater gezeugt in unaussprechlicher Weise. Durch ihn ist alles Sichtbare und Unsichtbare geschaffen worden. Er wurde Mensch und nach Ueberwindung des Todes vom Vater in den Himmel aufgenommen. Und dieser gab ihm alle Macht über alle Namen im Himmel, auf Erden und unter der Erde, und jede Zunge soll bekennen, daß Herr und Gott ist Jesus Christus, an den wir glauben. Und wir erwarten seine Ankunft als Richter der Lebenden und der Verstorbenen. Er wird einem jeden vergelten nach seinen Werken. Und er hat in reichem Maß den heiligen Geist über uns ausgegossen, Gabe und Pfand der Unsterblichkeit, der bewirkt, daß alle, die glauben und dem Glauben folgen, Kinder Gottes und Miterben Christi werden, den wir bekennen und anbeten als einen Gott in der Dreiheit des heiligen S. 15 Namens. (5) Er hat ja durch seinen Propheten gesagt: Rufe mich an am Tage deiner Bedrängnis, ich werde dich befreien und du wirst mich preisen. Und an einer anderen Stelle sagt er: Aber die Werke Gottes zu offenbaren und zu bekennen ist ehrenvoll.
(6) Wenn ich auch in vielem unvollkommen bin, so wünsche ich doch, daß meine Brüder und Verwandten sehen, was für ein Mensch ich bin, und so erkennen, worauf sich der Wunsch meines Herzens richtet. (7) Ich kenne wohl das Zeugnis meines Herrn, der im Psalm bezeugt: Du wirst die vernichten, die Lügen reden. Und an einer anderen Stelle sagt er: Der Mund, der lügt, tötet die Seele. Und derselbe Herr sagt im Evangelium: Von jedem unnützen Wort, das die Menschen sprechen, werden sie am Tage des Gerichtes Rechenschaft geben. (8) So muß ich wohl mit Furcht und Zittern den Spruch fürchten an jenem Tag, wo niemand sich zurückziehen oder verbergen kann, sondern wo wir alle ohne Ausnahme werden Rechenschaft geben müssen auch über die geringsten Fehler vor dem Richterstuhl Christi, des Herrn.
(9) Deshalb habe ich schon lange zu schreiben vorgehabt, aber bis jetzt gezögert. Ich fürchtete das Gerede meiner Mitmenschen. Habe ich doch nicht studiert wie andere, die, wie es sich gehört, die Rechte sowohl als die heiligen Schriften in gleicher Weise gelernt und seit ihrer Kindheit nie die Sprache gewechselt, sondern sich immer mehr (in ihrer eigenen) vervollkommnet haben. Ich aber S. 16 wurde mit meiner Muttersprache in eine andere Sprachgemeinschaft versetzt, und man kann ja leicht aus meinem Stil erkennen, wie wenig meine Rede geschult und gebildet ist. Sagt doch der Weise: Durch die Sprache werden Verstand, Wissen und wahre Lehre kund werden. (10) Aber was nützt eine wahrheitsgemäße Entschuldigung, wenn es als Anmaßung aufgefaßt wird, daß ich jetzt als Greis mich um das bemühe, was ich mir als junger Mann nicht verschafft habe: meine Sünden waren der Grund, daß ich mir das nicht einprägen konnte, was ich gelesen hatte. Aber wird mir jemand glauben, auch wenn er hört, was ich vorausgeschickt habe? Als Jüngling, fast noch als Knabe der Sprache nach, wurde ich zum Sklaven gemacht, bevor ich noch wußte, wonach ich streben, um was ich mich bemühen und was ich meiden sollte. Deshalb schäme ich mich heute und scheue mich, meine Unwissenheit zu enthüllen. Denn ich bin nicht fähig, nach rednerischer Art meine Gedanken in knapper Form darzulegen, sondern (schreibe,) wie der Geist drängt und wie der Gemütszustand Seele und Gedanken erkennen läßt. (11) Wenn mir dieselben Gaben verliehen wären wie anderen, würde ich mit der Äußerung meines Dankes nicht zurückhalten. Sollte ich aber jetzt jemandem vordringlich erscheinen mit meiner Unwissenheit und meiner trägen Zunge, so verweise ich auf das Schriftwort: Die stammelnden Zungen werden schnell lernen vom Heil zu reden. Um wieviel mehr müssen wir uns darum bemühen, die wir ein Brief Christi sind S. 17 zum Heil bis an den Rand der Erde, wenn auch kein redekundigcr, so doch ein giltiges, kräftiges Schreiben, in eure Herzen nicht mit Tinte, sondern mit dem Geiste des lebendigen Gottes eingetragen. Und an einer anderen Stelle bezeugt der Geist: Auch die bäuerliche Art ist vom Allerhöchsten geschaffen worden.
(12) Ich war also zunächst unerzogen, heimatlos, ungebildet, unfähig, für die Zukunft Vorsorge zu treffen; ich weiß gewiß, daß ich, ehe ich gedemütigt wurde, einem Stein glich, der im tiefen Schlamm liegt. Und es kam der, der Macht hat, und in seiner Barmherzigkeit hob er mich in die Höhe und gab mir einen Platz auf der Krone der Mauer. Deshalb muß ich laut rufen, um dem Herrn wenigstens irgend einen Dank zu entrichten für seine großen Wohltaten hier und in Ewigkeit, die der Geist des Menschen nicht abzuschätzen vermag.
(13) Seid also nur erstaunt, die ihr den Herrn fürchtet, groß und klein, und ihr, hochmögende Redner, hört nur zu und versucht es zu erklären. Wer hat mich Dummen erweckt aus der Mitte derer, die als weise und gesetzeskundig gelten und als gewaltig in ihrer Rede und in allem übrigen? Und mich, der ich dieser Welt verächtlich schien, hat er vor den anderen berufen, wenn ich nur entsprechend wäre, wenn ich nur in Furcht und Scheu, treu und ohne Klage dem Volke nützlich würde, zu dem die Liebe Christi mich gebracht hat und dem sie mich geschenkt hat für mein ganzes Leben, wenn ich würdig bin, d. h. wenn ich in Wahrheit S. 18 und Demut ihnen diene. (14) Nach dem Maßdes Glaubens an die Dreieinigkeit muß man zwar unterscheiden, aber ohne Rücksicht auf Gefahr die Gabe Gottes und den ewigen Trost bekannt machen und treu den Namen Gottes überall verbreiten, so daß ich auch nach meinem Hingang meinen Brüdern und Söhnen ein Erbe hinterlasse, die ich, viele Tausende, im Herrn getauft habe. (15) Ich war nicht würdig und nicht ein Mensch (der erwarten konnte), daß Gott mir, seinem geringen Knecht, nach den Leiden und großen Beschwerden, nach der Knechtschaft, so viele Jahre später, bei jenem Volk die große Gnade verleihen würde, die ich in meiner Jugend nie erhofft, ja an die ich nicht einmal gedacht hatte.