VII. Kapitel: Von Nonnosus,1 Prior des Klosters auf dem Berg Sorakte
Gregorius. Jetzt will ich dir von einem benachbarten Orte etwas erzählen, was ich vom Bischof Maximianus, einem ehrwürdigen Mann, und von Laurio, einem bejahrten Mönche, den du kennst, erfahren habe, die S. 26 beide noch leben. Dieser Laurio wurde nämlich in einem Kloster, das bei der Stadt Nepeta2 liegt und Suppentonia3 heißt, von Anastasius, einem überaus heiligen Manne, erzogen. Dieser ehrwürdige Mann Anastasius stand mit Nonnosus, dem Prior des Klosters auf dem Berge Sorakte, sowohl wegen der Nachbarschaft als auch wegen seiner Seelengröße und wegen des Strebens nach Tugend in innigster Beziehung. Der genannte Nonnosus lebte in seinem Kloster unter einem äußerst strengen Abte, ertrug aber dessen Charakter stets mit einem wunderbaren Gleichmut; er selbst war den Brüdern ein milder Oberer und besänftigte oft in Demut des Abtes Jähzorn. Da aber das Kloster zu oberst auf dem Gipfel des Berges lag, blieb den Brüdern kein ebener Platz mehr, auch nicht für den kleinsten Garten. Ein kleines Plätzchen wäre an der Seite des Berges noch vorhanden gewesen, aber dieses nahm ein sehr großer, aus dem Boden herausragender Stein ein. Einmal dachte der ehrwürdige Nonnosus darüber nach, daß diese Stelle sich dazu eignen würde, wenigstens das Gewürz für das Gemüse zu bauen, wenn der Fels nicht da wäre; er sah aber sogleich ein, daß wohl fünfzig Paar Ochsen den Felsen nicht von der Stelle bringen könnten. Da also menschliche Bemühung hier nichts vermochte, suchte er himmlische Hilfe und begab sich dort in der Stille der Nacht ins Gebet. Und als die Brüder am Morgen herauskamen, sahen sie, daß der große Felsblock weiter weg gerückt war und den Brüdern einen schönen, freien Platz gelassen hatte.
Wieder ein anderes Mal war es, daß der ehrwürdige Mann in der Kirche die gläsernen Ampeln reinigte; eine fiel ihm dabei aus den Händen und zersprang in tausend Stücke. Aus Furcht vor dem heftigen Zorn des Klosterabtes las er alle Scherben zusammen, legte sie vor dem Altar nieder und begann unter schwerem Seufzen zu S. 27 beten. Als er darnach das Haupt vom Gebete erhob, fand er die Ampel, deren Stücke er unter Ängsten zusammengelesen hatte, wieder ganz. So ahmte er also in zwei Wundern zweier Väter Wunderwerke nach: beim Felsblock das Wunder Gregors, der einen Berg versetzte, bei der Wiederherstellung der Ampel ein Wunder des Donatus,4 der einen zerbrochenen Kelch wieder unversehrt herstellte.
Petrus. Wir haben, wie ich sehe, neue Wunder nach alten Beispielen.
Gregorius. Willst du nun davon etwas hören, wie Nonnosus in seinem Wirken auch den Elisäus nachahmte?
Petrus. Ja freilich, ich bin vor Neugier ganz gespannt.
Gregorius. Einmal ging im Kloster das alte Öl aus; es war zwar die Zeit der Olivenernte nahe, aber auf den Ölbäumen sah man keine Früchte. Deshalb beschloß der Klosterabt, daß die Brüder sich in der Umgegend bei der Olivenernte verdingen sollten, damit sie so als Lohn für ihre Arbeit ein wenig Öl ins Kloster brächten. Der Ausführung dieses Auftrages widersetzte sich aber der Mann Gottes Nonnosus in aller Demut, damit nicht die Brüder durch ihre Abwesenheit vom Kloster an ihrer Seele Schaden litten, während sie Öl verdienen sollten. Da man aber nun doch auf den Bäumen des Klosters einige wenige Oliven fand, befahl er sie abzunehmen und in die Presse zu tun, das Öl aber sollten sie, wie wenig es auch sein mochte, zu ihm bringen. So geschah es; die Brüder fingen das Öl in einem kleinen Schüsselchen auf und brachten es dem Diener Gottes Nonnosus. Dieser stellte es vor dem Altar nieder, ließ alle aus der Kirche sich entfernen und betete. Hierauf ließ er die Brüder wieder hereinkommen und befahl ihnen, das Öl, das sie gebracht hatten, fortzunehmen und davon ein klein wenig in alle Gefäße des Klosters zu S. 28 gießen, nur damit der Segen des Öls hineingegossen erscheine. Darnach ließ er alle diese leeren Gefäße verschließen. Als man sie aber am andern Tag wieder öffnete, waren alle voll Öl.
Petrus. Wir erfahren wirklich täglich, wie sich das Wort der ewigen Wahrheit erfüllt, die da sagt: „Mein Vater wirket bis jetzt, und ich wirke auch.”5